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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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hev ick nich, Gott schall Dank hem!“
    „Das ist schade“, sagte ich enttäuscht, „und was gedenken Sie heute mit sich auzufangen?“
    „Ick les den ,Ursprung der Arten’.“
    „Schlagen Sie es zu; es schickt sich nicht für den Sonntag. Und sagen Sie mir, ist das Auto geschmiert und fahrbereit?“
    „Det kunt Se hem. Schall ick’n paar Gören ütfarn?“
    „Nur eines, das an einem nervösen System leidet. Es hat die fixe Idee, daß es auf den Gipfel der Hügel kommen muß.“
    „Dat kan de Wagn lik maken. In föftien Minuden bin ick dor...“
    „Halt!“ sagte ich. „Bringen Sie eine Bratpfanne, die eine anständige Größe für zwei Personen hat, mit. In meiner Küche ist nichts kleiner als ein Wagenrad. Und fragen Sie Mrs. McGurk, ob Sie zum Abendessen fortbleiben dürfen.“
    Dann habe ich einen Korb mit Speck und einigen Eiern und Brötchen und Ingwer-Plätzchen gefüllt, und heißen Kaffee in die Thermosflasche, und stand wartend auf der Treppe, als Sandy mit seinem Auto und seiner Bratpfanne angepufft kam.
    Es war geradezu ein Abenteuer, und er hat das Gefühl, durchgebrannt zu sein, genau so genossen wie ich. Nicht ein einziges Mal habe ich ihm erlaubt, von Irrsinn zu reden. Ich habe ihn dazu gebracht, die weiten Wiesengründe anzusehen, und die Linien der gekappten Weiden vor den Hügeln, und er hat die Luft gekostet, und auf das Krähen der Raben und das Klingeln der Kuhglocken und das Murmeln des Flusses gehört. Und wir haben geredet — über tausend Dinge, die nichts mit unserer Anstalt zu tun haben. Ich habe ihn gezwungen, den Gedanken, daß er ein Wissenschaftler ist, über Bord zu werfen und so zu tun, als sei er ein Junge. Du wirst mir das zwar kaum glauben, aber bis zu einem gewissen Grad ist es ihm gelungen. Er hat ein oder zwei wirklich bubenhafte Streiche ausgeführt. Sandy ist noch in den Dreißig, und das ist, weiß Gott, zu früh, um erwachsen zu sein.
    Wir haben an einem Felshang über unserer Aussicht gelagert, haben dürres Holz gesammelt, Feuer gemacht und das beste Abendessen gekocht, — es war zwar eine Prise gebranntes Holz in unseren Eiern, aber Holzkohle ist gesund. Und als Sandy nachher seine Pfeife ausgeraucht hatte, und die Sonne im gewohnten Westen unterging, packten wir zusammen und schlitterten nach Hause.
    Er sagt, es sei der schönste Nachmittag gewesen, den er seit Jahren hatte, und bei dem armen getäuschten Mann der Wissenschaft glaube ich, daß das wirklich stimmt. Sein olivgrünes Heim ist so unbequem und düster und deprimierend, daß es mich nicht wundert, wenn er seine Sorgen in Büchern ertränkt. Sobald ich eine nette gemütliche Hausmutter finde, die ich einsetzen kann, werde ich eine Intrige zur Entlassung von Maggie McGurk anspinnen, obwohl ich schon ahne, daß es noch schwerer sein wird, sie von ihrer Verankerung loszukriegen, als es bei Sterry war.
    Bitte komme nicht zum Schluß, daß ich mich übermächtig für unseren übellaunigen Doktor interessiere; denn ich tue es nicht. Er führt nur ein so freudloses Leben, daß ich ihm manchmal den Kopf streicheln möchte und ihm sagen, er soll wieder fröhlich sein; die Welt ist voller Sonne; und ein Teil davon ist auch für ihn, — es ist genau wie mein Verlangen, meine hundertundsieben Waisen zu trösten; nicht weniger und nicht mehr.
    Ich weiß bestimmt, daß ich einige echte Neuigkeiten habe erzählen wollen; aber sie sind mir vollständig entfallen. Die viele frische Luft hat mich schläfrig gemacht. Es ist halb zehn, und ich wünsche Dir gute Nacht.
    S.

    PS. Gordon Hallock ist in dünne Luft verdunstet. Seit drei Wochen kein Wort; keine Bonbons oder ausgestopften Tiere oder sonstige Erinnerungszeichen. Was in aller Welt kann aus dem aufmerksamen jungen Mann geworden sein?

13. Juli.
    Liebste Judy!
    Horch auf die freudige Kunde!
    Da heute der einunddreißigste Tag von Punchs Monat ist, habe ich, wie ursprünglich vereinbart, seine beiden Gönnerinnen angerufen, um seine Rückkehr vorzubereiten. Ich begegnete einer empörten Ablehnung. Sie sollten ihren süßen kleinen Vulkan aufgeben, gerade da sie ihn soweit haben, kein Feuer mehr zu speien? Sie sind außer sich, daß ich eine so undankbare Forderung stellen kann. Punch hat ihre Einladung für den Sommer angenommen.
    Das Schneidern ist noch im Gang. Du solltest das Schnurren der Nähmaschinen und der Zungen im Nähzimmer hören. Das niedergedrückteste, teilnahmsloseste, entmutigtste Waisenkind wird vergnügt und interessiert sich für das

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