Lieber Frühling komm doch bald
Telefonzellen. Nicht nur das Schöne, nicht nur das Strahlende forderte die Zerstörer heraus.
«Aye, danke», sagte der Schotte und wandte sich dem alten Mann zu. «Ich bin froh, daß Sie in der Nähe waren und nicht ich, Mr. Pentecost.»
«So? Warum?»
«Mein Gewehr wär geladen gewesen», sagte Mr. Mackintosh. May blickte zu ihm hinüber. War ihm endlich irgendein Gefühl anzusehen? Nein, das Gesicht zeigte keine Regung, die grauen Züge blieben unbewegt. Aber, dachte sie im Hinausgehen, vielleicht war er doch nicht ganz aus Stein.
4
«Hier bringe ich Ihnen eine neue kleine Schülerin, Miss Thompson», sagte die Leiterin der Grundschule.
Wendy Thompson sah ein schmales, blasses Kind vor sich, das sich ängstlich an die Hand eines grauhaarigen, freudlos dreinblickenden Mannes klammerte.
«Fein», sagte Wendy Thompson. «Wie heißt du denn?»
Das Kind schwieg. Der Mann sagte: «Julia Mackintosh. Wir sind gerade erst hergezogen, aus Kincardineshire.»
«Aus- woher?»
«Kincardineshire, Schottland.» Er schien es unverständlich zu finden, daß eine Lehrerin nicht wußte, wo Kincardineshire lag.
«Aha. Und wo wohnen Sie jetzt, Mr. Mackintosh?»
«World’s End Cottage. In Shepherd’s Warning. Ich arbeite dort als Gutsverwalter.»
Merkwürdig - Shepherd’s Warning wohnte auch Jocelyn Pentecost, der Schriftsteller. Wendy hätte sich gern nach ihm erkundigt, aber Mr. Mackintosh sah nicht sehr gesprächig aus. Sie sagte zu Julia: «Und deine Mammi? Arbeitet sie auch?»
Das Kind senkte den Kopf. Und der Mann erwiderte mit rauher Stimme: «Ihre Mutter ist im Himmel.» Dann fügte er etwas weicher hinzu: «Nicht wahr, mein Kleines?» Das Kind fing an zu weinen.
«Oh, Entschuldigung», sagte Wendy Thompson, «das tut mir leid. Wie dumm von mir.»
«Sie konnten es ja nicht wissen.»
Wendy Thompson nahm die kleine Hand des Mädchens und
fragte: «Julia, sag mir mal, was tust du am allerliebsten auf der Welt?»
Die Kleine schwieg noch immer. «Sag’s mir doch, Liebes», bat Wendy. «Dann wollen wir mal versuchen, ob wir es hier in der Schule auch tun können.»
Unter Tränen brachte Julia ein Wort hervor.
«Hast du gesagt?» fragte Wendy.
Das Kind nickte und blickte zu Boden.
«Ihre Mutter war Ballettänzerin», sagte der Mann. «Sie hat sie zum Ballettunterricht geschickt. Aber dies ist keine Welt für Balletttänzerinnen.»
Wendy Thompson hatte sich wieder aufgerichtet. «Sondern? Was meinen Sie, Mr. Mackintosh?»
«Och - für Polizeibeamtinnen, Friseusen, Stenotypistinnen. Oder für Politikerinnen.»
Miss Thompsons Gesicht verdunkelte sich. «Ich hoffe nur, Sie irren sich, Mr. Mackintosh», sagte sie ruhig. Ihre Hand lag auf dem Kopf des kleinen Mädchens und strich über das lange glatte Haar. Sie sah den Schotten an. Wie mochte dieser Mann an eine Ballettänzerin geraten sein? «Und Sie sind dagegen, daß Julia weiter Ballettunterricht nimmt? Auch wenn sie begabt ist?»
Er nickte. «Ja. Ich bin ein praktischer Mensch, Miss Thompson. Und meine Tochter soll ihr Brot mit etwas Solidem verdienen. Bringen Sie ihr nur Lesen und Schreiben und Rechnen bei, Miss Thompson. Dazu sind Sie da. Leben Sie wohl. Auf Wiedersehen, Julia.» Mit unerwarteter Zärtlichkeit bückte er sich und küßte das Kind auf die Wangen. Dann ging er hinaus. Klotz, dachte Miss Thompson. Und ihre Gedanken wanderten zurück zu einem anderen Mädchen, das einst auch gern Ballettänzerin geworden wäre: sie sah sich wieder als Siebzehnjährige, die nicht zur Ballettschule gehen durfte, weil ihre selbstsüchtige und rechthaberische Mutter es nicht wollte.
Sie führte Julia in ein leeres Klassenzimmer und setzte sich. «Bist du gern zum Ballettunterricht gegangen.
«O ja, Miss, sehr gern. Es war wunderbar.» Die Augen strahlten.
Armes Kind, dachte Wendy Thompson. Erst die Mutter verlieren und dann den Tanzunterricht aufgeben müssen! Das mußte für die Kleine wie der Untergang der Welt gewesen sein. «Komm, Julia», sagte sie mit fester Stimme. «Komm, tanz mir etwas vor.»
Die Kleine rührte sich nicht. Doch selbst in ihrer Reglosigkeit lag natürliche Anmut.
«Möchtest du nicht tanzen?»
Julia zuckte ablehnend mit den Schultern, und Wendy Thompson zog sie an sich. Die Kleine stand vor ihr und wand sich verlegen.
Wendy sagte mit leiser Stimme: «Als ich jung war, wollte ich auch so gern Tänzerin werden.»
Endlich blickte das Kind sie an. Wendy sah die schön geschwungenen Augenbrauen, den schmalen zarten
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