Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
gehen wollte. O nein, habe ich gedacht. Das darf nicht sein. Wir haben uns doch gerade erst kennengelernt. Das habe ich ihr dann auch gesagt. Wir haben den ganzen Abend zusammengesessen und meine Fortuna-Zigaretten geraucht. Und weil Ada mich auch wiedersehen wollte, haben wir uns von da an öfter getroffen.
Aber wie sollte ich das jetzt Sophie erklären? Neu verliebt in Deine Mami und noch ganz viel Restliebe für Sophie? Gar nicht so einfach. Ich hatte Angst, Sophie von Ada zu erzählen, denn ich wusste ja, dass es ihr weh tun würde. Das wollte ich nicht, und trotzdem musste es sein. Am Ende war ich aber doch zu feige für die ganze Wahrheit. Ich habe Sophie erzählt, dass ich sie nicht mehr liebe. Und dass ich in nächster Zeit allein bleiben wollte. Zeit für mich bräuchte. Das stimmte natürlich nicht. Ich wollte Zeit mit Ada verbringen. Dass ich Sophie nicht mehr liebhatte, stimmte auch nicht. Denn nur, weil man einen neuen Menschen kennenlernt und sich verliebt, sind ja nicht alle Gefühle für den anderen erloschen. Das geht gar nicht. Man ist vielleicht traurig oder wütend, aber einen Platz im Herzen hält der andere schon noch besetzt. Und das bleibt so. Alles andere wäre auch komisch.
Ich hätte ehrlich sein sollen. Das wäre ich Sophie schuldig gewesen. Deshalb habe ich ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen zurückbehalten. Ganz tief im Herzen. Wie eine Klette, die sich nicht abschütteln lässt. Ich wusste, eines Tages würde ich sie um Verzeihung bitten müssen, sonst würde ich die Klette in meinem Herzen nie loswerden.
Das habe ich neulich getan, kurz bevor ich hier gelandet bin. Ich bin im strömenden Regen um die Außenalster gelaufen, und Max Herre hat die ganze Zeit Schön, dass du wieder da bist, wir haben uns lang nicht mehr gesehen, ich wusste, dass du eines Tages wieder vor meiner Türe stehst in mein Ohr gesungen. Er singt das Lied zusammen mit seiner Freundin. Sie hat eine ganz rauchige Stimme, genau wie Sophie. Nach dem Duschen bin ich dann zu ihr gefahren. Mami lag schon im Bett und hat mich gefragt, wo ich hingehe. Ich habe gesagt, Sophie habe noch ein wichtiges Buch von mir und dass ich das jetzt holen müsse. Das hat auch gestimmt. Eine Erstausgabe von den Buddenbrooks von Thomas Mann, die mir Mima geschenkt hat. Sie hatte eine Tante, die zur selben Zeit in Lübeck lebte wie Thomas Mann. Diese Tante hat handschriftlich im Buchdeckel notiert, wer mit welcher Figur im Roman übereinstimmt. Ada hat müde und bedrückt ausgesehen, aber ich war wie ferngesteuert. Es gab keinen Zweifel. Ich habe mich weder geschämt, noch hatte ich Mitleid mit Mami. Dass ich ihr damit weh tue, habe ich gar nicht gemerkt.
Jetzt, wo ich darüber nachdenke, erinnert es mich an Dich. Ich habe Dich schon oft mit Freunden kämpfen sehen. Wenn dann einer weint, sagen wir immer, dass Du Dich entschuldigen sollst. Tust Du dann auch. Aber Du meinst es nicht wirklich so. Das kann man Dir ansehen. Du machst es nur für uns. Weil Du Dich im Recht siehst. Ich habe mich auch im Recht gesehen. Wenn man überhaupt von Recht sprechen kann.
Das Wiedersehen mit Sophie war furchtbar schön. Und komisch. Es hat weh getan und war fremd. Gleichzeitig haben wir uns sofort wiedererkannt. In unserer Zuneigung. In dem, was wir einmal füreinander waren. In der Verbundenheit. Wir sind mit dem Mercedes endlos durch die Vollmondnacht gefahren.
Eigentlich hatte ich mit diesem Treffen etwas in Ordnung bringen wollen. Jetzt ist es noch komplizierter als vorher. Nicht nur mein Kopf ist voller Gedanken, ich glaube, mein Herz läuft auch noch über. Wie ein zu schnell gezapftes Bier.
Verzeih mir.
Prost.
heute habe ich Angst. Ich bin schon damit aufgewacht.
Was ist, wenn im Theater alle Bescheid wissen? In zwei Wochen soll ich nach Essen, als Hausregisseur. Die haben doch bestimmt alle mitbekommen, was in Berlin passiert ist. Das habe ich Dir noch gar nicht erzählt. Weil ich es so oft erzählen musste in letzter Zeit: einem Nervenarzt in Hamburg, der Meisenfrau in Warnstorf, drei oder vier verschiedenen Ärzten hier im UKE und unzähligen Freunden und Bekannten. Ich kann es selbst schon nicht mehr hören. Aber ich werde mir noch einmal Mühe geben. Für Dich.
Wo fange ich an? Am besten mit meinem Beruf. Regisseur. Am Theater. Dazu bin ich eher zufällig gekommen, eigentlich hatte ich Schauspieler werden wollen. Ich habe Dir ja schon geschrieben, dass das mit der Schauspielschule nichts für mich war. Glücklicherweise hatte ich
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