Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
kommt auch niemand zu dir und sagt: »Sebastian, wir finden, du solltest jetzt dieses Stück mit jenen Schauspielern machen und nächste Spielzeit dann Folgendes mit den und den Kollegen.« So läuft das nicht. Auch wenn ich mir das, ehrlich gesagt, so vorgestellt hatte. Vor allem, weil ich ja so dicht dran war. Mittendrin und doch auch wieder nicht.
Einmal in der Woche gab es eine Sitzung, in der das Programm der nächsten Tage und Wochen besprochen wurde. Alle Abteilungsleiter kamen zusammen, also von Bühne, Ton, Licht, Kostüm und Maske. Dazu die Dramaturgen – das sind die, die sich überlegen, welche Stücke man aufführen könnte und mit wem –, deren Assistenten und die der Regie. In diesen Sitzungen wird genau festgelegt, wer bei welchem Stück für was zuständig ist und wer wann auf welcher Bühne probt. Das ist ganz wichtig, da ja ständig irgendein Stück geprobt wird, bei einem anderen schon Endproben laufen und wieder andere Premiere haben. Da kann man schnell den Überblick verlieren. Außerdem gibt es nebenbei noch jede Menge zu organisieren: Schauspieler und Regisseure, die nicht zum festen Ensemble gehören, müssen engagiert, untergebracht und bezahlt werden. Programmhefte und Plakate müssen geschrieben und gestaltet werden, Bühnenbilder bestellt oder angefertigt werden. Überall herrscht permanente Geschäftigkeit. Das spürt man schon, wenn man das Theater betritt. Dass es eine große Maschine ist, die so gut wie nie stillsteht. Und ich mittendrin. Alles prasselt nur so auf einen ein, überall und ständig. Sogar wenn man in der Kantine beim Mittagessen sitzt. Dort hängt ein Fernseher, über den die Aufnahmen der Bühnenkamera flimmern. Man sieht, was gerade geprobt, ab-oder umgebaut wird. Wenn man will, kann man immer alles mitbekommen. Und ich wollte. Wie ein Schwamm habe ich alles aufgesaugt – die ganze Stimmung am Theater, die ganzen Eindrücke und Informationen.
Ich wollte unbedingt ein weiteres eigenes Stück machen. Das hatte ich mir mit meiner ersten Arbeit auch verdient, schließlich war ich damit sogar zum Kinder-und Jugendtheatertreffen in Halle eingeladen worden. Weil mein Wunsch aber lange ungehört im Raum stehenblieb und ich dringend weitere Erfahrungen als Regisseur in dieser geschützten Atmosphäre sammeln wollte, wusste ich irgendwann keinen Ausweg mehr und habe meine Kündigung geschrieben. Ganz spontan. Zehn Minuten nachdem ich sie bei der Sekretärin des Intendanten abgegeben hatte, wurde ich zu ihm gerufen. Er hat mich gleich angemeckert. Was mir einfiele! Dann hat er die Kündigung zerrissen und gesagt, ich solle mich mal entspannen. Er würde sich schon kümmern.
Das hat mich gefreut. Aber auch geärgert. Warum muss man denn erst seine Kündigung auf den Tisch knallen, bis einem die Wertschätzung entgegengebracht wird, die man zu verdienen glaubt? Dass ich ein eigenes Stück verdiente, stand für mich außer Zweifel. Stell Dir vor, er hätte die Kündigung tatsächlich angenommen. Ich hätte gar nicht gewusst, was ich dann gemacht hätte. Nun. Weitere zehn Minuten später hatte ich genau das richtige Stück vor mir auf dem Tisch. Dreier von Jens Roselt. Bingo. Am nächsten Tag stand bereits die Besetzung. Das war wieder so eine glückliche Fügung, dass meine drei Lieblingsschauspieler gerade frei waren. Normalerweise sind die immer mindestens ein halbes Jahr im Voraus verplant. Das ist wie mit Lucas aus Deinem Hort. Der ist doch auch immer schon verabredet. Egal, wann man fragt, der hat nie Zeit. Der Premierentermin stand ebenfalls schnell fest: 23. 01. 2003! Zweimal 23 in einem Datum. Meine Glückszahl. Das konnte gar nicht schiefgehen.
Auf der Premiere haben Mami und ich uns übrigens das erste Mal in der Öffentlichkeit geküsst. Ein echter Glückstag, sag ich doch. Bis dahin war nicht wirklich viel zwischen uns passiert, wir sind monatelang umeinander herumgeschlichen. Es war überhaupt eine wahnsinnig aufregende Zeit. Nicht nur wegen Ada, sondern auch wegen des Stücks. Die Proben waren einfach toll. Ich habe Onkel Kourosh die Hälfte meiner Gage gegeben und hatte somit den besten Assistenten der Welt. Außerdem hatten wir eine zauberhafte Hospitantin. Die kleine Anna. Wir haben wirklich viel miteinander ausprobiert. Haltungen. Zustände. Formen. Die Arbeit war großartig, weil wir uns vertraut haben. Deshalb war die andere Anna, die Ausstatterin, auch nicht böse, als wir kurz vor der Premiere noch das Bühnenbild rausgeschmissen haben. Bis auf den
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