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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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hier richtig bin. Dabei gibt es nur hier die Eins-a-Profi-Meisendoktoren. Und genau die brauche ich.
    Gute Nacht!

ich habe das erste Mal seit langer Zeit wieder so richtig tief und fest geschlafen. Diesmal sogar ohne Schlaftablette! Jetzt, wo die Meise langsamer wird, kann ich in meinem Körper spüren, was ich alles in den letzten Wochen angestellt habe. Da kommt einiges zusammen. Ich bin spaziert, flaniert, gelaufen, gerannt, habe mich gedreht, getanzt, bin gesprungen, habe gesungen, geschrien, gelacht und geweint. Und gearbeitet habe ich zwischendurch natürlich auch noch. Meistens bis spät in die Nacht. Zwischendurch sehr viel getrunken. Helles und dunkles Bier, Weißwein und Cocktails am Nachmittag, Rotwein am Abend, Whiskey spät in der Nacht. Alles, was reinpasst. Jetzt bin ich so nüchtern wie lange nicht mehr und spüre jede Faser meines Körpers, jeden Millimeter Muskelmasse. Jede Pore. Das ist herrlich!
    Und das Beste ist: Mein Kopf schaltet sich langsam ab. Bis jetzt ging da oben alles wild durcheinander, so als würde jemand stundenlang durch sämtliche Kanäle in meinem Hirn zappen. Wie beim Fernsehen, ständiger Programmwechsel, hopp, hopp, nur dass ich die Fernbedienung nicht selbst kontrollieren konnte. Schneller und schneller sausten die Bilder an mir vorbei, bis nur noch ein einziges, wirres Mosaik aus Bilderschnipseln übrig war. Aber nun bleibt das Bilderkarussell auf einmal stehen, und es ist Stille. Es läuft ein ganz ruhiger Tierfilm. Öde? Nee. Das ist herrlich! Erholsam. Nur eine einzige Kameraeinstellung. Das Leben in Echtzeit. Statt einer ferngesteuerten Rakete bin ich wieder ein Mensch auf zwei Beinen.
    Ich setze mich gleich in den Park auf meine Bank und mache gar nichts! Nicht lesen. Nicht schreiben. Nicht zeichnen. Nicht denken. Nichts. Das ist wirklich neu. Ich kann es noch nicht richtig glauben. Aber es scheint echt zu sein, dieses Gefühl.
    Ab in den Park. Menschen anschauen. Die Natur beobachten. Da sein. Einfach nur sein. Schön.

gestern Nachmittag hat mich Sophie besucht. Vorgestern hatte sie sich angekündigt. Nach dem Mittagessen habe ich es nicht mehr ausgehalten vor Vorfreude. Ist ja auch ihr erster Besuch hier, und wir haben uns seit jenem Abend, an dem wir uns nach Jahren wiedergesehen haben, nicht mehr gesprochen. Ich habe mit Maria einige Zigaretten geraucht und ihr die Geschichte von mir und Sophie erzählt. Dass wir uns schon kennen, seit wir Kinder sind. Dass sie mir beim Murmelspielen einmal in den Bauch gehauen hat, weil ich geschummelt hatte und ihre Freundin reinlegen wollte. Wie ich mich in sie verliebt habe, als ich mit sechzehn genau wie sie über Ostern bei Deinem Patenonkel Peer war. Davon, wie lange es dann noch gedauert hat, bis wir ein Paar wurden. Von unseren Reisen. Und wie unzertrennlich und eins wir wurden über die Jahre. Und wie dieser Zustand wieder verschwand. Von unserer Trennung und dass wir nicht richtig voneinander Abschied genommen haben. Das Erzählen hat mich so nervös gemacht, dass ich noch mal kurz durch Eppendorf spaziert bin.
    In einer der ruhigen Seitenstraßen sehe ich einen wartenden Mann vor einem Hauseingang stehen. Ein Makler. Natürlich. Ich gucke ihm direkt in die Augen, und er hält mich sofort für seine Verabredung.
    »Hatten wir?«
    »Ja. Hatten wir.« Handschlag.
    Er zeigt mir eine sehr schöne helle Sechs-Zimmer-Wohnung mit allem, was dazugehört. Ich schlendere durch die Räume und bemängele dies und jenes.
    »Ich werde es mir überlegen. Meine Frau muss das mitentscheiden.«
    »Natürlich.«
    »Natürlich.«
    Ich drücke ihm eine meiner neuen Visitenkarten aus Leinen in die Hand und ziehe lässig von dannen. Auf der Treppe kommt mir ein Mann entgegen, der wie ich einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd trägt.
    Ich besorge noch ein paar Blumen für Sophie und schlendere zurück zur Klinik. Dann ist es endlich so weit.
    Unter einer riesigen Kastanie nehmen wir auf einer Bank Platz. Ich bin unsicher. So vieles hat sich angestaut zwischen uns, ich möchte Sophie so vieles sagen. Sie hat mir einen Tim und Struppi -Band mitgebracht. Den hast Du auch noch nicht. Tim und Struppi in Amerika . Und einen Zeichenblock.
    Wir sind beide ganz vorsichtig. Schüchtern. Eine Weile sitzen wir einfach nur da. Keiner möchte den Moment mit Reden zerstören. Sophie ist klarer als früher und sagt mir, dass sie nicht lange bleiben möchte. Ich will nicht, dass sie geht. Nie mehr. Keiner von uns darf sich wieder aus dem Leben des anderen

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