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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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erschrecke bis ins Mark und fühle mich wie von einer Autoritätsperson an den Haaren nach Hause gezogen. Die Flasche lässt mich jetzt also auch hängen. Haben ihn die Kleingeister doch auf ihre Seite gebracht. Und das, obwohl wir auf dem Höhepunkt unserer gemeinsamen Spinnerei mein rotes Auto bunt angesprüht haben. Narziss und Goldmund haben wir aufs Dach gemalt. Das sind zwei Figuren aus einem Roman von Hermann Hesse, der mir sehr gut gefallen hat damals. Dazu noch ein Hanfblatt aufs Heck und auf die Kotflügel unsere neuen Handynummern. Die sind jetzt schon nicht mehr gültig.
    Dafür hält mich die Polizei jeden Abend zweimal an.
    Mein Stiefvater hat einen Tobsuchtsanfall nie erlebten Ausmaßes bekommen und mir befohlen, das Auto zu säubern. Vom Rebell ist nichts geblieben als ein Häufchen Elend, dessen Angst immer größer wird. Vier Stunden und sechs Liter Nitroverdünner später sind noch deutliche Spuren sichtbar. Zweimal hätte ich mich fast übergeben.
    Die Großspurigkeit der letzten Wochen kehrt sich nun um in Zweifel. Ich fühle mich schuldig. Die Felix-Krull-Haftigkeit meiner Existenz verwandelt sich in das Abziehbild eines billigen Betrügers. Nichts glänzt mehr.
    Ich schaffe es gerade noch so, die Abiturklausuren zu schreiben, und bin mir sicher, dass sie nichts geworden sein können. Alles Betrug und Blendwerk. An der Planung sämtlicher Aktivitäten rund um den Schulabschluss kann ich mich nicht beteiligen. Ich habe dazu einfach keine Meinung. Ich habe aufrichtig Angst davor, als Betrüger entlarvt zu werden. Ich stehe nur noch dabei. Abwesend anwesend. Die ganze Zeit. In der mündlichen Prüfung in Biologie bekomme ich dann kaum noch ein Wort heraus. Belustigt von dieser einmaligen Erfahrung während meiner Schulzeit, werde ich vom Prüfungskomitee mit vier Punkten nach Hause geschickt. Das haben sie noch nie erlebt. Einen sprachlosen Sebastian. Wie schön für euch. Hätten sie mich wenigstens durchfallen lassen. Das wäre ein Zeichen gewesen. Wir lassen uns nichts vormachen. So macht die Gnadengeste alles noch schlimmer.
    Ich kann nicht mehr richtig schlafen. Aus dem Delphin ist eine Scholle geworden, die versucht, sich tiefer und tiefer zu verkriechen. Aber ich kann mich nirgends verkriechen. Das geht nicht, nicht jetzt. Ein Ereignis jagt das nächste. Letzter Schultag, Abiturstreich, Zeugnisverleihung, Stufenfete, Abschlussball.
    Mir ist auch nach Abschluss. Ich möchte mich abschließen. Die Veranstaltungen quälen mich. Die anderen sind mir vollkommen fremd. Ihre unverstellte Freude macht mich traurig. Sogar die unbeliebten Schüler feiern ganz ausgelassen, dass nun alles vorbei ist. In keiner Form der Zurückschau kann ich etwas Positives oder Tröstendes entdecken. Hinter mir eine Wüste und vor mir ein Abgrund. Dazwischen sehe ich mich verlassen auf weiter Flur in die Gegend starren. Verzweifelt nach einem Halt Ausschau haltend.
    Ich habe für niemanden mehr ein Gefühl. Schon gar nicht für mich selbst. Die Familie wartet auf die Ankunft meines Cousins Anthony aus Amerika, der mit mir in eine Wohnung ziehen soll. Das haben wir vor einem Jahr beim sechzigsten Geburtstag von Hans-Peter so besprochen. Niemand scheint ernsthaft zu glauben, dass daraus noch was wird. Ich bin mir auch nicht mehr sicher. Wie auch. Mit meinen Eltern suche ich Möbel aus, zu denen ich keine Meinung habe. Ich habe zu nichts mehr eine Meinung. Die Wohnung, die ich in Eppendorf direkt hinter dem Krankenhaus für Anthony und mich gefunden habe, ist ein feuchtes Loch im Erdgeschoss und löst bei meiner Mutter völliges Unverständnis aus. Erdverbunden. Das ist ihr spezieller Ausdruck für meine Haltung der vergangenen Monate. Auf dem Boden sitzen und rauchen. Dieses Haschischzeug. Dazu laute Musik und Räucherstäbchen.
    Ich wollte so dringend von zu Hause ausziehen. Und nun? Nun tigere ich immer wieder durch die Räume und versuche darin das Spiegelbild meiner Freiheit zu erkennen. Die Wohnung scheint mich auszulachen. Die Wände grinsen mich an. Andere schütteln den Kopf. Der Handwerker zum Beispiel, ein Bekannter von Bernhard, der mir den Teppich verlegt und die Rollos anbringt. Nicht mal dazu ist der Junge in der Lage. Kann der überhaupt was? Häme. Überall.
    Am ersten Abend allein in meiner neuen Wohnung zerreißt es mich. Ich stehe vor dem Badezimmerspiegel und sehe einen traurigen Clown. Einen Geist, der mir fremd ist. Der mir Angst macht. So möchte ich nicht leben.
    Eine halbe Stunde später stehe ich

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