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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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das Zwerchfell schmerzt vom vielen Lachen und der Magen schreit nach Süßigkeiten. »The munchies« sagen die Amerikaner zu solchen Heißhungerattacken nach einem Joint. So heißen die selbstgedrehten Zigaretten, in denen Tabak mit dem Marihuana gemischt wird. Trip-Hop ist die perfekte Musik dazu. Portishead, Tricky und Massive Attack laufen rund um die Uhr. Allesamt Bands aus England, die damals schwer angesagt waren. Habe ich Dir schon mal vorgespielt, Du hast es grauenhaft gefunden. Oft machen wir auch selbst Musik. Ich versuche mich an einigen Gitarren-Akkorden und finde das eigene Spiel immer gelungener, je bekiffter ich werde.
    Seit der siebten Klasse bin ich immer wieder in Sarah verliebt. Gerade schon wieder. Sie macht mich verrückt. Seit einem Jahr hält sie mich erfolgreich hin. Offensichtlich möchte oder kann sie sich nicht zwischen mir, Peer und weiteren Bewunderern entscheiden. Ich leide zunehmend unter dieser Unentschiedenheit. Mal lässt sie mich etwas näher an sich heran, dann stößt sie mich wieder weg. Unerträglich. Ich hoffe aufrichtig, dass Dir so etwas später mal erspart bleibt.
    In dieses Szenario tritt eines Abends Swantje. Sie ist das totale Gegenteil von Sarah, und wir sind für die nächsten Wochen unzertrennlich. Wir machen jetzt viel zu viert mit Simon und seiner Freundin Janna. Es ist Frühling. Die Nächte sind noch sehr kalt. Trotzdem fahren wir zum Grillen an den Baggersee. Wenn die anderen bedröhnt wegsacken und schlafen, bleibe ich wach und lese. Oder zeichne oder spiele leise auf der Gitarre. Der Gedankenstrom in meinem Kopf ist gewaltig.
    Während sich in der Schule alles um das bevorstehende Abitur dreht, drehe ich mich fleißig um meinen eigenen Kosmos. In der großen Pause sitze ich barfuß in meinem Auto und zupfe bei geöffneter Tür auf der Klampfe herum. Die Ernsthaftigkeit der anderen mit ihrem ganzen schulischen Eifer erscheint mir unglaublich albern. Alles Kleingeister. Spießer. Die werden sich noch umgucken. Wenn mich jemand wegen meiner laxen und überheblich wirkenden Art anredet, reagiere ich zunehmend gereizt. Aggressiv. Angesprochen auf meine Sockenlosigkeit, überziehe ich die betreffende Mitschülerin mit Schimpfworten und verlasse pöbelnd den Unterrichtsraum. Ich übertreibe maßlos und hinterlasse fassungslose Schüler und einen sprachlosen Biologielehrer. Die Schule schrumpft zu einem anachronistischen Puppentheater. Nicht mehr zeitgemäß für mich. Die spielen alle Augsburger Puppenkiste. Und ich bin das Urmel. Oder nein, schlimmer. Die sind alle nur noch Karikaturen. Karikaturen gemeiner Menschen. Gewöhnlich. Ich hingegen stehe über den Dingen. Ich bin ein Schöngeist, süchtig nach dem Reinen und Wahren. Ich kaufe Klamotten, Bücher, Musik, Filme. Und ich habe Ideen. Ununterbrochen.
    Simon und ich werden eine Vermittlungsagentur für Nebenjobber eröffnen. Das ist völlig klar. Anstatt selbst im Supermarkt Regale aufzufüllen, wollen wir lieber andere in solche Tätigkeiten vermitteln und dafür kassieren. Mobiltelefone haben wir uns schon besorgt. Nur die Freischaltung lässt auf sich warten. Warum dauert bloß alles immer so unglaublich lange? In der Schule hat noch niemand ein Handy. Alles Amateure. Die Schule taugt nicht mal mehr als sozialer Treffpunkt. Uninspirierend.
    Ich bin ein Delphin.
    Mein soziales Umfeld macht sich zunehmend Sorgen. Peer hat mich zum Abendessen einbestellt und sitzt mir fassungslos gegenüber. Er behauptet, er erkenne mich nicht wieder. Ich muss lachen. Natürlich nicht. Du bekommst ja auch gar nichts mehr mit. Bist du eifersüchtig? Neidisch?
    Jetzt, wo es mir das erste Mal so richtig gutgeht, will sich scheinbar kaum jemand mit mir freuen. Ich kann seine Sorgen nicht vertreiben. Wie auch – ich kann sie noch nicht einmal verstehen. Großzügig verspreche ich ihm, er könne doch mitmachen. Was das heißen soll, weiß ich auch nicht.
    Das Gespräch halte ich später auf meine Art in einem kleinen Comic fest, während Simon schon schläft. So langsam macht auch ihm meine Belagerung zu schaffen. Er kann trotz großem Ego und viel Löwenkraft nicht mehr mit mir mithalten. Seine Familie macht sich ebenfalls Sorgen. Das hat auch damit zu tun, dass er kaum noch an seinem Ausbildungsplatz erscheint. Als wir kurz darauf bei Peer in der Wohnung Zauberpilze essen, die einen so stark vergiften, dass man Dinge sieht, die gar nicht da sind, fordert er mitten im Pilzrausch eiskalt seinen Haustürschlüssel zurück. Ich

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