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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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für immer so lassen, wie es ist. Wie es für mich war. Nur so scheint es mir Sicherheit zu geben. Immerhin kann ich einiges in unsere Wohnung retten. Das Ölbild, das jetzt über dem Esstisch bei uns hängt. Meinen Lesesessel. Die Sanduhr. Die Serviettenringe. Den kleinen roten Hocker aus ihrer Küche, auf den Du immer geklettert bist, um an die Gläser zu kommen. Aber der Geruch ist für immer verflogen.
    Es ist nicht so, dass mich diese Gegenstände traurig machen, weil sie mich daran erinnern, dass Mima nicht mehr lebt. Sie spenden mir vielmehr Trost. Sie geben mir eine verdünnte Dosis Geborgenheit zurück, die mit ihrem Tod verschwunden ist.
    Zum Glück ist das alles für Dich noch sehr weit weg, und ich hoffe, dass es auch noch lange so bleibt. Die Menschen werden ja immer älter. Auch ich. Hoffentlich.

Wolfgang hat mir erzählt, dass er ganz in der Nähe der Klinik ein Boot liegen hat. »Ja, und was sitzen wir dann noch hier rum?«, habe ich ihn gefragt. Es ist noch gerade so Sommer. Der See ruft! Wolfgang hat ein wenig rumgedruckst, von wegen, das ist noch winterfest im Bootsschuppen verpackt, man müsse es erst rausholen. Er habe dazu noch keine Zeit gehabt, außerdem sei es auch gar nicht seins, sondern gehöre seinem Schwiegervater. »Na und?« Irgendwann hat er sich dann einen Ruck gegeben, und ich habe schnell auf die Tafel geschrieben: »Sebastian und Wolfgang gehen Kanu fahren und sehen sich die Stadt vom Wasser aus an. Sie versprechen sich davon keine Erleuchtung, aber einen Perspektivenwechsel. Wenn sie dabei bräunen sollten, wird ihnen das nicht schaden. Sie sind rechtzeitig zum Abendessen zu Hause.« Zu Hause! Jetzt sag ich schon zu Hause! Aber ehrlich gesagt ist das ja im Moment mein Zuhause, auch wenn ich mich immer noch dagegen wehre. Egal.
    Wir sind dann los. Es hat gekitzelt im Bauch. Die Sonne hat geschienen, und das Bootshaus hat gerochen wie das Gartenhaus meiner Großeltern in Boostedt. Nach warmem Holz und Plastik, Staub und Lack. Ich erinnere mich an den Kirschbaum, auf den ich nicht klettern durfte, an eine Regentonne, in die ich nur reingucken sollte, und an ein überhitztes, nach Holzschutzmittel und Dachpappe riechendes sehr kleines Gartenhaus, in dem ich mittags schlafen sollte. Allerdings konnte ich mittags im Alter von vier oder fünf nicht mehr schlafen. Oma machte das rasend. Mein vier Jahre älterer Cousin verstand meine Unruhe auch nicht. Er las Bussi Bär -Hefte oder malte. Ich konnte noch nicht lesen, und meine Malkünste beschränkten sich auf grobes Skizzieren. Das jedoch im Akkord. Düsenflieger, Raumschiffe oder Piratenschiffe. Draußen auf dem schmalen Weg zwischen den anderen Kleingartenabteilen stand eine Wasserpumpe. Ein magischer Anziehungspunkt. Mit geschlossenen Augen das eiskalte Wasser über das Gesicht laufen lassen, und ich war für Sekunden frei und ganz weit weg. Bis meine Großmutter mit einer Nachbarin im Schlepptau zeternd die Idylle zerstörte und mich endgültig in die Hütte hineintrieb. In der Schrebergartensiedlung musste man sich streng an die Mittagsruhe halten. Das mit der Ruhe ist mir ähnlich schwergefallen wie Dir. Seitdem ich das an Dir erleben darf, bin ich den Großeltern nicht mehr so böse. Ich vermisse aber die riesigen Himbeersträucher und das Pochspiel zur Mittagszeit. Das ist eine Vorform von Poker. Vielleicht gibt uns Omi ihr Pochbrett. Oder wir spielen es mit ihr zusammen.
    Das Boot liegt ziemlich versteckt. Es ist offensichtlich lange nicht benutzt worden. Wir haben es aus der großen Plane ausgepackt – wie ein riesiges Geburtstagsgeschenk – und an den Steg getragen. Ein leichter Wind um die Nase, die warme Sonne im Gesicht. Jeden Muskel habe ich gespürt. Unverwundbar.
    Wir hatten Wasser und ein paar Äpfel dabei. Jetzt wirst Du Dich fragen: Seit wann isst Papa denn freiwillig Obst? Seit heute! Es ist einfach köstlich. Ich kann gar nicht anders. So muss es für mich sein. Im Moment. Schlicht und natürlich.
    Bis auf die Außenalster sind wir gefahren. Vom Wasser aus sieht die Stadt noch mal ganz anders aus. Ein bisschen fremd, obwohl man sie doch so gut kennt. Schon fühlt man sich wie im Urlaub. Es kam mir vor wie im Film. Ich habe mich auch ein bisschen so benommen. Weißt Du, was eine Pose ist? Das ist eine gestellte Körperhaltung, die Eindruck machen soll. Eindruck macht. Im Theater habe ich mir da so einiges abgucken können. Manchmal passiert mir so eine Pose. Heldenpose im gleitenden Kanu zum Beispiel.
    Die ganze

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