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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Erinnern Sie sich denn nicht?
    Terence Butcher schaute mich ein ganze Weile an.
    - Tut mir leid, sagte er. Aber in meinem Beruf begegne ich so vielen Leuten.
    - Und all denen spendieren Sie einen GT? Und all denen sagen Sie, sie wären viel zu hübsch, um die Squaw eines einfachen Bullen zu sein?
    - Hmmm?, sagte er.
    - Der Kostümball vom Sprengmittelräumdienst? Weihnachten vor 2 Jahren? Sie gingen als Russell Crowe aus Gladiator.
    -O Gott, sagte er. Sie sind doch nicht diese kleine Indianerin?
    - Pocahontas, um genau zu sein.
    - Herrgott, jetzt weiß ich wirklich nicht, was ich sagen soll.
    - Dann sagen Sie nichts. Ist ja nichts passiert.
    - -Wirklich nicht?
    - Nein. Das wüsste ich.
    Daraufhin erst mal Schweigen. Es war so still, dass man hören konnte, wie die Klimaanlage den Mief von Katzenjammer und übervollen Schreibtischen durch das Gebäude pustete.
    - Wirst du wenigstens psychologisch betreut?, sagte Terence Butcher.
    - Nee.
    - Wäre aber besser. Ich könnte da was in die Wege leiten.
    - Nein, lass mal. Da war diese Trauerberaterin im Kranken haus, aber gebracht hat das nichts.
    - Woher willst du das wissen?
    - Weil ich gestern Nacht versucht habe, mich umzubringen. Und weil das wahrscheinlich nicht der letzte Versuch war.
    Terence Butcher erhob sich von seiner Tischkante, ließ aber für keine Sekunde den Blick von mir.
    - Jetzt zieh hier mal nicht so eine Show ab. Ich verfüge über einige Menschenkenntnis, und ich sage dir: Wenn du dich wirklich hättest umbringen wollen, und ich meine wirklich, ohne Scheiß, dann hättest du es längst geschafft.
    - Ich war noch im Krankenhaus. Da ist das nicht so einfach. Ich wäre ja aus dem Fenster gesprungen, aber es war zu kalt.
    Terence Butcher seufzte.
    - Verstehe, sagte er. Dann sollten wir das Ganze jetzt etwas abkürzen, meinst du nicht?
    Er griff nach unten, zog eine Schublade auf und holte eine Pistole heraus. Ein schwarzes, scharfkantiges, eindeutig bösartiges Ding. Und viel größer als die im Fernsehen immer. Sie war so groß wie das ganze Universum. Er hielt mir die Pistole hin und sah mir in die Augen. Er hielt sie am Lauf, sodass der Griff auf mich zeigte. So nennt man das doch, oder? Ich habe ja keine Ahnung von Waffen. Jedenfalls das Ende, wo man sie anfasst.
    Terence Butchers Hand war so ruhig wie sein Blick. Meine Hand bewegte sich auf die Pistole zu. Ich weiß nicht, warum, anfassen wollte ich sie eigentlich gar nicht, aber seine Augen zwangen mich dazu. Meine Hand schloss sich um den Griff. Der Griff war kalt und glänzte, das ganze Ding war viel zu schwer für mich. Ich sah, wie ich sie in der Hand hielt: wie ein kleines Mädchen, das etwas für Erwachsene Gemachtes hochheben will. Terence Butcher ließ den Lauf los, und unter dem Gewicht der Pistole senkte sich mein Arm. Ich versuchte, sie auf mich zu richten, aber sosehr ich mich auch bemühte, mit einer Hand schaffte ich es nicht. Und beide Hände konnte ich nicht nehmen, weil ich sonst die Krücke loslassen musste und hingefallen wäre.
    Ich brach in Tränen aus und sank auf den Boden. Die Krücke ließ ich auf die Umzugskartons fallen. Durch die Tränen hindurch sah ich zu Terence Butcher hoch und hielt den Griff jetzt mit beiden Händen fest, aber so herum, dass meine Daumen auf dem Metallding lagen, das um den Abzug ist. Ich hob die Pistole hoch und steckte mir den Lauf in den Mund.
    Terence Butchers Miene änderte sich. Ich glaube, er rechnete nicht ernsthaft damit, dass ich es tat. Er war so ruhig wie vorher, sah aber sehr traurig aus. Der Lauf in meinem Mund fühlte sich komisch an. Er war aus Metall, aber er war eben kein Messer oder eine Gabel oder ein Löffel, und ich wusste nicht, was ich weiter damit machen sollte. Ich meine, man ist fast nicht in der Lage, den Gedanken zu denken, dass man sich damit umbringen kann. Wenn man irgendwas im Mund hat, denkt der Körper gleich, es wäre was zu essen. Meine Zunge leckte an der Mündung. Sie schmeckte nach Öl und leicht säuerlich, und so zog ich den Lauf wieder heraus. Ich konnte nicht anders, ich verzog vor Ekel das Gesicht. Ich saß mitten zwischen all den Kartons auf dem Boden, aber zumindest weinte ich nicht mehr. Ich dachte mehr oder weniger gar nichts.
    - Siehst du?, sagte Terence Butcher. Du willst dich nicht wirklich umbringen.
    - Und was, wenn ich abgedrückt hätte?
    Terence Butcher grinste. Er stand auf, ging zwischen den Kartons hindurch auf mich zu und kniete sich neben mich. Er zog eine Packung mit roten Marlboros aus

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