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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Ordnung. Aber wenn du mich fragst, brauchst du jetzt keine neue Aufgabe, sondern psychologische Hilfe.
    Seine Hand lag schwer auf meiner Schulter. Ich sah ihn an und spürte, wie ich mich innerlich verkrampfte. Traurig, wie all die Leere in mir nach etwas verlangte, das sie ausfüllte. Ich wollte still sitzen, aber mein Körper wehrte sich dagegen, zerrte an der Leine. Ich weiß, was du jetzt denkst, Osama, aber wehe, du spielst dich als Moralapostel auf, du primitiver Bastard. Du hast von alledem doch keine Ahnung, du bist keine Frau.
    - Nein, mir geht’s gut, ich brauche keine Hilfe. Ich bin wie der voll da. Bei mir waren Therapeuten und Trauerberater. So gar Prince William war bei mir. Er ist übrigens größer, als er im Fernsehen aussieht. Deshalb, bitte, du weißt ja gar nicht, wie ich mich fühle. Ich tue alles, was von mir verlangt wird. Ich kann euer Spion sein oder eure Putzfrau, egal. Ich kann auch besser Tee kochen als jeder andere hier. Ich mache alles. Nur gib mir eine Aufgabe. Wenn ich jetzt allein in meiner Wohnung herum sitze, das weiß ich, tue ich mir wirklich was an.
    Terence Butcher starrte mich an, und ich fühlte, wie seine Hand langsam an meiner Schulter abglitt. Seine Finger waren ins Schwitzen gekommen. Ich spürte seinen Atem an meiner Wange. Dann klingelte ein Telefon. Seine Hand zitterte, als er abnahm.
    - Ja?, sagte er. Nein, Sie bleiben, wo Sie sind, und machen mir eine Konferenzschaltung mit Anwar und Janet. Ich bin gleich unten.
    Er legte auf.
    - Da ist was, um das ich mich kümmern muss, sagte er. Dauert nur zehn Minuten. Würde es dir was ausmachen, so lange hier zu warten, bis ich wieder da bin?
    - Nein, kein Problem.
    - Aber bleib bitte hier im Büro. Ich darf dich eigentlich nicht allein lassen, aber ich denke mal, du bist auf unserer Seite. Das bist du doch, oder?
    Ich lächelte.
    - Sieht so aus.
    Als er draußen war, drehte ich mich mit seinem Chefsessel hin und her. Es war einer von diesen verstellbaren mit tausend Hebeln. Ich schwör dir, dieses Ding war komplizierter als ich. An mir ist ja nicht viel dran und bestimmt nichts, was du verstellen könntest, Osama. Tut mir leid, aber ich bin nun mal ziemlich stur. Und jetzt wollte ich mich eben ein bisschen aufheitern. Also zog ich die Knie an und fuhr auf seinem Chefsessel Karussell. Und sang die Titelmelodie von Wonder Woman dazu: La-la-la-la Wonder Woman! Das Lied mochte ich schon als kleines Mädchen.
    Ich wartete eine ganze Weile. Wie lange genau, weiß ich nicht, denn am 1. Mai hatte ich auch meine Uhr verloren. Draußen fing es an zu regnen, und auf dem Fensterbrett trieben es 2 Tauben. Sie unten sah krank und abgemagert aus, er oben pickte gegen ihren Hals und schlug mit den Flügeln, um auf ihr zu bleiben. Seine Füße waren nur zwei rosa Pinne, Krallen hatte er keine mehr. Dann war er fertig und zog sofort Leine. Sie blieb noch eine Minute und sah ihm nicht mal nach, dann flog auch sie Richtung Westminster Abbey davon. Meine Nervosität wuchs wieder, deshalb fing ich an aufzuräumen. Ich konnte nicht anders.
    In den meisten Kartons waren Akten. Ich nahm sie nacheinander heraus und wuchtete sie in die Regale. Es waren sicher 40 bis 50 Stück, große Archivboxen mit dem Namen der jeweiligen Operation darauf, in Leuchtstiftschrift. Klasse Namen waren das, Codenamen. Mein Junge wäre begeistert gewesen. Da stand zum Beispiel PUMA, RED SKY oder OPERATION DONNERSCHLAG, du weißt ja, wie Bullen sind, Osama. Alle diese Akten holte ich aus den Kartons auf dem Fußboden und stellte sie in die Regale an der Wand. Natürlich in alphabetischer Reihenfolge, schon weil es mich beruhigte. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte die ganze Welt alphabetisch ordnen, dann lägen Küsten und Meere zwischen dir und meinem Jungen.
    Als alles eingeräumt war, nahm ich die Kartons, faltete sie zusammen und stellte sie gegen die Wand. Es war so schön, Ordnung zu schaffen, dass es von mir aus noch ewig so weitergehen hätte können.
    Damit du’s weißt, Osama, ich bin ein Mensch, der gern für andere aufräumt. Sehr gern sogar. Mal angenommen, du hättest eine Party gegeben, und deine Wohnung sieht aus wie Hund. Kein Problem, am nächsten Morgen komme ich vorbei und mache sauber. Ich stecke deine Glam-Rock-CDs in die richtigen Hüllen zurück, hole die Kippen aus den Blumentöpfen und wische die Kotze neben dem Klo weg. Macht mir gar nichts aus. Oder angenommen, deine Küche ist bloß so ein kleiner enger Schlauch, und du weißt nicht, wo du

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