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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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ganze Verwaltungslast auflud, wenn man nicht wollte, dass sie runterfiel.
    - Na gut. Was ziehen die Mädels hier denn so an?
    Blusen, denke ich mal, sagte Terence Butcher. Blusen und schwarze Röcke. Mit dicken Strümpfen. Und natürlich vernünftige Schuhe. Die Haare kurz. Denk dir einen Häftling aus Zellenblock H. Wenn du das hinkriegst, kann ich dir den Job beschaffen.
    - O Gott, da sieht man ja aus wie eine Nonne bei Nieselwetter.
    Terence Butcher grinste.
    - Wie ich schon sagte, dieser Krieg ist nur zu gewinnen, wenn wir unsere Grundsätze über Bord werfen.

 
    T ERENCE B UTCHER LIEH MIR 200 Pfund, und so nahm ich die Victoria Line bis Oxford Street und kaufte bei H&M meine Zellenblock-H-Kluft. Die neuen Sachen ließ ich gleich an, um mich daran zu gewöhnen, und hielt Ausschau nach einem Friseur. Aber alles, was ich fand, war eins von diesen schicken Haarstudios in Soho. Mein Junge hätte das bestimmt nicht gemocht. Für ihn war ein guter Friseur einer, wo er das Nyloncape andersrum anziehen durfte, um dann – Zack-Bumm-Batman! – durch den ganzen Salon zu fegen. Aber dieser Laden sah mir nicht danach aus. Das war ein richtiger Stylist, und die tun immer so seriös. Hinter getöntem Glas wuselten dünne Mädchen, und im Hintergrund lief ein Club-Remake von ENGLAND’S HEART IS BLEEDING.
    Kaum war ich mit meiner Krücke durch die Tür, kam eine auf mich zu und fragte mich, ob ich was trinken wollte.
    - Sie haben nicht zufällig einen Gin Tonic?
    - Tut mir leid, sagte sie. Ich kann Ihnen nur Tee oder Kaffee anbieten.
    - Dann bitte Tee. Mit 3 Stück Zucker.
    Das Mädchen sah mich biestig an. Ich schätze mal, an ihr war kein Gramm Fett zu viel, und 3 Stück Zucker hätten ihr glatt die Figur ruiniert. Sie führte mich zu einer Waschstation.
    Ich trank den Tee, den sie mir brachte, und sie wusch mir die Haare, das war dann einfach nur schön. Als sie mich fragte, wie sie es schneiden sollte, sagte ich: Wie bei Lady Di.
    Später nahm ich die Central Line zurück nach Bethnal Green. Anfangs war die Vorstellung, wieder durch die Bethnal Green Road zu gehen, zu viel für mich. Ich brauchte erst ein bisschen was Betäubendes, also ging ich in den Green Man, was sicher ein Fehler war, denn es gibt schönere Pubs. Vor allem riecht es in anderen nicht so durchgehend nach Kotze. Allein um es im Green Man auszuhalten, braucht man ein paar Drinks, aber am Ende blieb ich, bis sie dichtmachten.
    Die kurzen Haare fühlten sich toll an, mit dem Wind, der mir auf einmal um Hals und Ohren strich – so frisch, als wäre man neu geboren.
    Ich weiß nicht, ob du schon mal um halb zwölf abends mit einer Krücke durch all die Jugendgangs auf der Bethnal Green Road gegangen bist, Osama, aber ich wünsche es mir, Osama. Ich meine, wir sind die Leute, die du umbringst, also hoffen wir mal, dass wir auch persönlich gemeint sind.
    Jedenfalls, wenn du nachts durch die Bethnal Green Road laufen würdest, wäre dir ziemlich schnell klar, warum man hier am besten Nike-Shirts, Adidas-Hosen und weiße Pumas trägt. Man will ja nicht auffallen. Bloß hatte ich all diese Klamotten in meine Asda-Tüte gestopft, zusammen mit Mr. Rabbit und dem Valium. Stattdessen trug ich eine weiße Bluse und einen braunen Rock von H & M, dazu eine garantiert blickdichte Strumpfhose von Pretty Polly und schwarze Lederschuhe von Clark’s. Ehrlich, es war gar nicht so einfach, darin natürlich auszusehen. Außerdem war ich geschminkt. Dunkelroter Lippenstift und schwarze Mascara. Ich fühlte mich wie eine Transe bei ihrem ersten Ausgang im Fummel. Außerdem war meine neue Diana-Frisur so voller Haarspray, dass ein einziger Funke genügt hätte, um das ganze East End in einen einzigen Krater zu verwandeln.
    Und überall klebten Plakate, die auf die Ausgangssperre hinwiesen. Eine nette Familie war darauf zu sehen, die Kinder im Bett, die Eltern beruhigt- vor der Glotze. Darunter die Zeilen: AB MITTERNACHT SIND WIR ZU HAUS, SO SIEHT UNSER BEITRAG AUS.
    Das Valium und die vielen GTs mischten sich seltsam. Überall in den Fenstern über den Geschäften sah ich meinen Jungen. Ich sah ihn immer nur ganz kurz, aber ich dachte: He, du kleiner Racker, meinst du nicht, du gehörst längst ins Bett? Sobald ich dann genauer hinschaute, war das Fenster leer. Man sah bloß noch eine nackte Glühbirne und die schmuddelige Textiltapete. Und wenn du mir in dem Moment in die Augen geblickt hättest, hättest du darin wahrscheinlich genau dieselbe Leere gesehen.
    Ich bog in die

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