Lieber Osama
nicht nach antworten zumute. Ich hatte mindestens 8 GTs intus und weniger das Gefühl, dass ich irgendwohin fuhr, als dass London an mir vorbeiraste. Und nicht nur das: London musste auf einmal ganz dringend zum Kotzen aufs Klo. Es war eine von diesen Nächten, in denen auch der letzte Wichser besoffen ist. Eine von diesen Nächten, in denen dir plötzlich City-Schnösel in Polohemden vors Taxi springen, furchtbar mit den Armen fuchteln und TAXIII! TAXIII! schreien, sodass der Fahrer Gott weiß wie um sie rumkurven muss und seinerseits brüllt: Hast du keine Augen im Kopf, du dämliches Arschloch, ich bin besetzt – entschuldigen Sie, ist doch wahr. Eine dieser Nächte, in denen man nur noch den nächsten Morgen herbeisehnt.
Terence Butcher legte mir die Hand aufs Knie. Meine Strumpfhose war zerrissen, und ich spürte seine Haut auf meiner. Ich sah ihn an und lächelte.
- Nicht hier, Terence. Dafür ist später noch genug Zeit.
Ich drehte mich weg und sah aus dem Fenster. Wir waren gerade in die Cambridge Heath Road eingebogen, und plötzlich war Stau. Nichts ging mehr. Die Leute rannten, um den letzten Bus zu erwischen, und Polizei mit Megafon machte ihnen Beine.
Ich schloss die Augen und spürte etwas im Nacken. Es hätten seine Lippen sein können. Oder die Lippen meines Mannes oder die von Jasper, in mir schwappten 8 GTs, die mir sagten: Alles scheißegal. Aber plötzlich bewegte sich Terence’ Hand auf meinem Schenkel, ich seufzte auf, die Hand glitt höher und schließlich unter den Gummisaum meines Höschens. O Gott, dachte ich, nicht das schon wieder. Ich spürte seine Finger in meinem Schamhaar, und ich spürte, wie der weiße Lieferwagen hinter uns explodierte, und auch das Taxi flog in die Luft, 20, 30 Meter hoch über die U-Bahn-Station Bethnal Green. Ich spürte, wie das rote Blut aus mir heraussprudelte, während wir in die Nacht gewirbelt wurden bis dicht unter den Schutzschild der Hoffnung mit seinen Lächelgesichtern. Ich spürte sein Gewicht auf meinem Körper, als wir dann brennend in den Trümmern lagen. Ach, war das schön, einmal nicht allein zu sterben.
Der Rausch wurde immer stärker. Als ich die Augen wieder aufmachte, fuhren wir gerade in die Bethnal Green Road ein, denn wir waren beide noch am Leben. Ich spürte den süßlichen Speichel in meinem Mund.
- O Gott, ich glaube, ich muss sofort raus hier.
Der Fahrer stieg in die Eisen und fuhr schnell an die Seite. Taxifahrer merken an der Stimme, wenn es ernst wird. Ich stieg aus und kotzte auf die gelbe Doppellinie, während Terence Butcher mich an den Schultern hielt. Ich kotzte puren Gin aus, man hätte glatt Messing polieren können damit. Aber als wir wieder im Taxi saßen, fühlte ich mich gleich viel besser und musste lächeln.
- Danke.
- Dank nicht mir, sondern Gott.
Wir kamen an dem KFC und den Sari-Geschäften vorbei, 2 Minuten von meiner Wohnung entfernt.
- Guck mal, wir sind gleich da.
- Bist du sicher, dass du es allein schaffst?, sagte Terence. Der Fahrer bog in die Barnet Grove ein.
- Lass mich doch mitkommen, sagte Terence.
- Bald ist Ausgangssperre. Ist dir klar, dass du dann die ganze Nacht bleiben musst?
- Ja, sagte er. Das war mein Hintergedanke.
- Und was ist mit deiner Frau?
- Ich ruf sie an. Sage ihr, dass ich im Büro übernachte.
Ich nahm seine Hand und hielt sie fest. Meine Haut kribbelte, und ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Die Leere in mir heulte wie der Wind um ein Hochhaus. Der Fahrer fuhr jetzt langsamer wegen der Temposchwellen auf der Barnet Grove. Meine Straße sah grau und deprimierend aus mit den Tesco-Tüten, die über den Asphalt geisterten wie Untote aus vergessenen Rabattschlachten.
- Und wo genau hier?, fragte der Fahrer.
- Einfach hier.
Das Taxi hielt, und ich drückte Terence’ Hand.
- Terence, ich mag dich. Versauen wir’s uns nicht. Fahr heute zu deiner Frau zurück. Dann kannst du morgen mit gutem Gewissen und gut gelaunt aufstehen. Denk an die Kinder. Du glaubst gar nicht, wie wichtig das ist. Und dann denk in Ruhe über alles nach. Wenn du mich dann immer noch willst, okay. Nur, wir sollten das nicht auf diese Art machen, sondern so, dass wirklich keiner was davon erfährt.
Terence schaute mich kurz an. Er sah so traurig aus, und ich sehnte mich so nach ihm, dass ich förmlich spüren konnte, wie die Leere in mir aufschrie: NEIN, NEIN, NEIN. Trotzdem blieb ich dabei. Ein letztes Mal drückte ich seine Hand, dann ließ ich los, stieg aus und schlug so entschlossen die
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