Lieber Osama
an einem Tisch, von dem aus ich den Eingangsbereich überblicken konnte, aber die Mühe hätte ich mir sparen können, denn er steuerte gleich auf die Bar zu und bestellte einen doppelten Scotch. Ich stand auf und ging zu ihm. Eigentlich nur ein paar Schritte, aber alles schwankte so seltsam, und ich musste mich an Stuhllehnen festhalten, damit das Travelodge gerade blieb. Ich tippte Terence auf die Schulter, er drehte sich von der Bar um und sah müde und elend aus, aber er lächelte, als er mich sah. Es war kein normales Lächeln, eher so wie das Lachen, das einem im Hals stecken bleibt, wenn jemand auf einer Beerdigung einen Witz macht.
- Was tust du denn hier?, sagte er.
- Ich dachte, du brauchst vielleicht jemand, der sich um den Tee oder die Ablage kümmert.
Terence lächelte und ergriff meinen Arm, als könnte ich jeden Moment umkippen, was wahrscheinlich nicht so falsch war.
- Du hättest nicht herkommen dürfen, sagte er. Warum hast du das gemacht?
- Das weiß ich selbst noch nicht.
Und das, Osama, war nichts als die Wahrheit. Mein Kopf war derart aufgeweicht von Tabletten und Gin, dass ich zu allem fähig war. Ich hatte Mr. Rabbit in der Handtasche, und in seinem Bäuchlein steckte Jaspers Videokamera, von der allerdings nur das winzige Objektiv rausguckte. Ich musste den kleinen Kerl bloß irgendwo aufstellen, wo er das Geschehen beobachten konnte, dann auf Aufnahme drücken und Terence zum Reden bringen. Aber ich hatte auch einen ganzen Stoß alter Fotos mitgebracht. Fotos von meinem Mann und meinem Jungen beim Rumtoben in unserer Wohnung oder im Victoria Park oder wir alle zusammen beim Eisessen am Strand von Brighton.
Ich schaute Terence an, ließ ihn einfach nicht los und kicherte, weil ich mich nicht entscheiden konnte, weshalb ich hier war: um ihn ans Messer zu liefern oder um zusammen mit ihm Familienbilder anzugucken.
- Alles in Ordnung?, sagte Terence.
- Überhaupt nicht. Bringst du mich ins Bett?
- Ins Bett?, fragte er. Beim letzten Mal wolltest du nicht mal mehr mit mir reden.
- Stimmt. Aber wer sagt, dass ich im Bett unbedingt reden will?
Terence lachte, trank seinen Scotch aus und gab dem Barmann ein Zeichen, dass er noch einen wollte.
- Du bist betrunken, sagte er. Vielleicht gehst du besser nach Hause.
Ich plinkerte und schwankte vor und zurück, denn das hatte ich nun nicht erwartet.
- Hör zu, Terence Butcher, ich bin betrunken, weil ich hier schon geschlagene 5 Stunden auf dich warte, und ich habe keine 5 Stunden gewartet, nur um mir sagen zu lassen, dass ich dir eigentlich ganz egal bin.
Der Barmann brachte den neuen Scotch. Terence schaute in das Glas, schwenkte es, bis die Eiswürfel klingelten. Dann sah er mich an, und in seinen grauen Augen blitzte das Rosa der Neonreklame hinter der Bar.
- Du bist mir nicht egal, sagte er. Im Gegenteil. Deshalb sage ich ja, es wäre vielleicht besser, wenn du jetzt nach Hause gehst.
- Ich will aber bei dir sein.
- Nein, das stimmt nicht. Du hast es mir selbst gesagt. Behutsam zog Terence Butcher mein Kinn zu sich hin, bis ich ihm in die Augen sehen musste.
- Da, sagte er. Schau mich an und dann sag mir, dass du in mir keinen Mörder siehst.
Ich öffnete den Mund, konnte aber nichts sagen, weil ich nur das Feuer in seinen Augen sah. Es waren zwar nur die Reflexionen der Neonreklame, trotzdem erschrak ich darüber.
- Siehst du?, sagte er. Und jetzt sag mir, es würde nicht immer so sein, ganz egal, wo wir sind oder was wir tun, beim Kaffee, bei einem Drink oder auch nur abends beim Zähneputzen im Bad.
Meine Beine waren wie Gummi, aber zugleich spürte ich die Muskeln unter seinem Hemd, und ich wusste, wenn ich mich jetzt weiter an ihn klammerte, tat ich uns beiden Unrecht. Andererseits, hätte ich jetzt losgelassen, wäre ich glatt zusammengeklappt.
- Ach, ich weiß nicht, Terence. Ich bin völlig fertig. Kannst du mich nicht einfach in den Arm nehmen, ich kann nicht mehr.
W IR HABEN SICHER vieles gemeinsam, Osama, aber eines würdest du bestimmt nie tun. Du würdest es dir nie in einem Travelodge von dem Mann besorgen lassen, der deine Jungs auf dem Gewissen hat. Ich biss mir auf die Lippen, um mich davon abzulenken, dass mir gleichzeitig Schauer der Lust über den Rücken liefen. Ich biss, bis Blut kam, aber es hatte keinen Sinn. Im Kopf hasste ich Terence, aber mein Körper fühlte sich noch immer zu ihm hingezogen. Ich wollte sagen: Ich hasse dich, du gemeiner, feiger Lügner, DU WUSSTEST ES, und trotzdem hast du
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