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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sinclair
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Bild teilen konnten, beschlossen sie, es zu verkaufen. Ich hatte mich seinerzeit nicht besonders dafür interessiert und kaumvon den Nachforschungen meiner Familie Notiz genommen, die im Wesentlichen von meiner Tante und meinen New Yorker Cousinen vorangetrieben wurden. Aber ich erinnere mich daran, dass meine Mutter mir von ihrem seltsamen Gefühl beim Betrachten dieses Bildes erzählte, das sie nicht kannte, weil es in die Galerie gekommen und daraus verschwunden war, ohne dass sie Gelegenheit hatte, es zu sehen.
    Tatsächlich waren sie und ihre Eltern zwischen September 1939 und Juni 1940 schon nicht mehr in Paris. Léonce, der Bruder meines Großvaters, hatte ihnen nicht folgen wollen. Er war den ganzen Krieg über in Paris, trug stolz den gelben Stern, entging wundersamerweise den Razzien und starb 1947. Er war ein begabter Entdecker, aber er hatte nie einen Sou und bat meinen Großvater oft, ihm Geld vorzuschießen, im Tausch gegen Bilder aus seinem Besitz, die er in der Rue La Boétie lagerte. Das war auch im Winter 1939–40 der Fall, als sich mein Großvater schon in Floirac befand. Léonce erhielt von seinem Bruder eine Überweisung und brachte seinen Léger in Pauls Galerie, wo er im Juli 1940, als die Deutschen das Gebäude besetzten, gestohlen wurde. Nach Kriegsende an Frankreich zurückgegeben, schlief die
Femme en rouge et vert
friedlich im Keller des Centre Pompidou, ohne dass die Familie und das Museum davon wussten.
    Also keine Dokumente zu meinem Großvater im Centre Pompidou, doch man ließ mich ganz ausnahmsweise die in der Galerie aufgenommenen Fotoplatten durchsehen, die im Archiv der Kandinsky-Bibliothek im Lager des Museums aufbewahrt wurden. Dorthin werden alle nicht im Centre Pompidou ausgestellten Sammlungen gebracht, aus Angst, die Lagerbeständeder Pariser Museen könnten überschwemmt werden wie 1910, was allerdings nur einmal in einem Jahrhundert vorkommt.
    Es ist das gigantischste aller Lager, jedenfalls das mit dem kostbarsten Gut: der Sammlung der nicht ausgestellten Schätze des Museums für moderne Kunst. Kilometerlange Gänge voller Kisten mit sibyllinischen Ziffern, darin vielleicht nie gesehene Skulpturen. Auf Schienen gleitende Rollschränke bergen unsichtbar bleibende Gemälde. Dutzende ungerahmte Bilder, an Rollostäben hängend, erinnern mich an die Ausstellungsstücke in einem Teppichladen. Ich sehe einen Warhol, einen Mirò, die nur darauf warten, ausgestellt zu werden. Verborgene Schätze.
    In einer anderen Abteilung, in die man durch eine Doppeltür nur gelangt, wenn man den nötigen Ausweis für die Sicherheitszone hat, komme ich in die Räume des Fotoarchivs.
    Tausende von Glasplatten sind dort erfasst und gelagert. Der Fundus Paul Rosenberg wird in Archivboxen aufbewahrt. Meine Mutter und mein Onkel hatten ihn 1973 dem Kulturministerium geschenkt, damit Forscher die Werke im Urzustand studieren können. Da sind sie, verstaubt und zerbrechlich, wie das Gedächtnis.
    Dutzende dicker Mappen, nach Namen geordnet – Bissière,[ 2 ] Braque, Laurencin, Léger, Matisse –, bergen schwere Fotoplatten aus Glas, wie man sie vor dem Krieg noch häufig verwendete, die meisten von Routhier, einem damals renommierten Kunstfotografen, und von unerreichter Qualität.
    Darauf finde ich die Ausstellungsräume in der Rue LaBoétie 21 wieder, die ich vor Kurzem besichtigt habe, die einen Meter hohe Holztäfelung und das so charakteristische Glasdach. Schwarz-Weiß-Fotos erscheinen merkwürdig für die auch wegen ihrer Farben berühmten, schimmernden Kunstwerke, aber die Magie dieser Fotos macht vergessen, dass sie nicht in Farbe aufgenommen sind.
    Am meisten bewegen mich die Fotoplatten von der Matisse- und der Braque-Ausstellung Ende der Dreißigerjahre. Wohl weil ich davor die anderen, nur ein paar Monate später gemachten Fotos gesehen hatte, von denselben Stellen an denselben Wänden, an denen jedoch statt der Bilder der beiden großen Meister das Porträt von Pétain und widerwärtige antisemitische Hetzparolen hingen.
    Eher zufällig öffne ich diese oder jene Box, nehme aus den vergilbten Umschlägen die Glasplatten, mit denen man vorsichtig umgehen muss, manche sind gesprungen oder angeschlagen. Die Beschädigungen verwirren mich: Sind das Spuren der Zeit oder der Grobheit der Besatzer, die sie geraubt haben wie die ganze Sammlung?
    Vergangenheit und Gegenwart überlagern sich. Doch die Frage bleibt: Was für ein Mensch war mein Großvater, und wie war das Leben dieser Familie,

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