Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Verbands der amerikanischen Kunsthändler und wegen seines untrüglichen Blicks ein von allen Museen geschätzter Experte. Obwohl er seine französische Staatsbürgerschaft behalten hatte, war er ein echter New Yorker geworden und hatte eine Amerikanerin geheiratet, meine Tante Elaine. Der französischen Kultur immer noch stark verbunden, hatte er Wert darauf gelegt, dass seine beiden Töchter, meine Cousinen Elisabeth und Marianne, ihre doppelte Staatsbürgerschaft nutzten und in Paris studierten. Für uns – seine Frau, seine Cousins, seine Schwester, seine Nichten – war er »Kiki« – ein Name, den ihm seine Eltern bei seiner Geburt 1921 in der Wohnung in der Rue La Boétie, mit Picasso als Zeugen, gegeben hatten –, ohne dass uns bewusst wurde, dass dieser kindliche Kosename nicht mehr zu diesem Mann passte, der hinter seiner Intellektuellenbrille sehr ernst war.
Im Gegensatz zu seinem Vater Paul hatte Alexandre diesenWeg mehr aus Sohnespflicht als aus eigener Neigung eingeschlagen, die eher Literatur, Philosophie und Inkunabeln galt. Er war weniger höflich, weniger weltgewandt als sein Vater, manchmal sogar ruppig. Sosehr er die Malerei liebte, sowenig lag ihm der Handel. So kam es, dass die Galerie Paul Rosenberg nach dem Tod meines Großvaters mehr und mehr von den Beständen zehrte, die freilich ausreichten, dass zwei Familien über fünfzig Jahre lang bequem davon leben konnten, sich aber nach und nach erschöpften. Von anscheinend Hunderten von Bildern, wie ich heute noch in den Zeitungen lese, sind vier bedeutende übrig geblieben, die bei mir zu Hause hängen.
Meinen Onkel kannte ich gut, aber seinen Vater Paul, der das Ende des 19. Jahrhunderts und sowohl die begeisternde als auch die tragische Zeit der erste Hälfte des 20. erlebt hat, kann ich immer noch höchstens in Umrissen zeichnen. Ich muss die letzten Bilder, die ich von ihm habe, und die Briefe vom Ende seines Lebens aus meinem Kopf verbannen und mir vergegenwärtigen, was seine Freude war: die Entdeckung zeitgenössischer großer Künstler und ihre Gesellschaft. Ich muss mich in seine Welt vertiefen: die eines leidenschaftlichen Kunsthändlers.
1 France libre (freies Frankreich) bzw. Forces françaises libres waren die französischen Streitkräfte, die unter Führung de Gaulles, der sich in London befand, weiter gegen das nationalsozialistische Deutschland kämpften. (A.d.Ü.)
2 Emmanuelle Loyer, op. cit.
HÄNDLER
D AS WORT »HÄNDLER« HAT MICH lange gestört – genauer gesagt, wenn es im Zusammenhang mit Kunstgegenständen und Bildern auftritt, »seltenen und schönen Dingen«, wie es auf dem Giebel des Pariser Musée de l’Homme heißt.
Hätte mein Großvater Jeans oder Ölsardinen verkauft, hätte ich das nicht anrüchig gefunden, aber sich durch Geschäfte mit Kunstgegenständen zu bereichern verströmte in meiner Jugend für mich den gleichen Schwefelgeruch wie heute der Beruf des Bankers. Es war nichts Unredliches, aber irgendwie »schmutzig«, und der notorische französische Widerwille gegen Geld verstärkte diese Empfindung noch.
Das Bild des verfemten, im Elend gestorbenen Malers machte mir die Leute suspekt, die es zu ihrem Beruf gemacht hatten, seine Bilder zu verkaufen. Unvergleichlich hingegen erschien mir jemand, der einzig durch die Liebe zur Kunst motiviert wurde, ein nur um die Geschmacksbildung besorgter Mäzen, der selbstlos mittellose junge Künstler förderte.
Papst Julius II., der Michelangelo zum Ruhm verhalf, oder Peggy Guggenheim, die als Milliardärin und Gönnerin ihre wichtigste Aufgabe darin sah, jeden Tag ein Kunstwerk zu kaufen, das war in Ordnung. Aber das Klischeebild vom Händler, der armen Künstlern ihre Werke abkauft und sie dann mit großemGewinn weiterverkauft, flößte mir so viel Widerwillen ein wie Lucien de Rubempré in Balzacs
Comédie Humaine
die aristokratische Pariser Gesellschaft.
Dann bin ich älter geworden. Ich habe gelernt, dass die Welt von Proudhon vor allem in Büchern existiert, dass Geldverdienen nicht zwangsläufig ein Fehler ist, solange man niemanden ausbeutet, und dass man es sogar moralisch finden kann, Reichtum zu schaffen und sich nicht damit zu begnügen, Nutznießer des gesellschaftlichen Reichtums zu sein.
Also ja, mein Großvater Paul Rosenberg war Händler.
Der Beruf war nicht neu. Rembrandt hat den Preis für seine Gemälde durch öffentliche Versteigerungen in die Höhe getrieben und so das Ansehen seines Berufs vermehrt. Bernini hat im 17.
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