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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sinclair
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Konsul stellte gegen den Willen Salazars mutig die Visa aus.
    Das zweite Problem war die Durchreise durch Spanien. Franco gestattete den Flüchtlingen, die sich an seiner Grenze drängten, das Land zu durchqueren, aber ohne auf spanischem Territorium haltzumachen. Paul und seine Schwager handelten schließlich eine Durchreise in drei Tagen und Nächten aus.
    Am 16. Juni waren alle abfahrbereit und drängten sich in die Autos. Drei Kilometer vor Hendaye an der Grenze wurde streng kontrolliert, die Schlange der wartenden Autos wurde immer länger. So aßen sie Butterkekse, machten Ölsardinenbüchsen auf und schliefen im Auto.
    Irun, Burgos, Salamanca, die Durchreise durch Spanien dauerte tatsächlich drei Tage. Die Reisegesellschaft hatte sich von Alexandre, dem Sohn von Paul und Margot und Bruder meiner Mutter, und von den Cousins François und Jean trennen müssen. Die jungen Männer waren an der Grenze aufgehalten worden und hatten beschlossen zu kämpfen. Sie bestiegen das letzte polnische Schiff, das aus Bordeaux ausfuhr, die nach einem polnischen König aus dem 16. Jahrhundert benannte
Batory,
die Libourne am 17. Juni 1940 verließ. Alexandre war neunzehn und mit allen Bequemlichkeiten einer bürgerlichen Familie aufgewachsen. Was treibt einen gerade erst erwachsen gewordenen jungen Mann zu einer so gefährlichen Odyssee? Die Liebe zum Vaterland, die Lust am Abenteuer,das Bedürfnis nach Selbstständigkeit oder alles zusammen? Das gilt für alle jungen Leute, die damals und später versuchten, nach London zu gelangen. Und trieb diese Mischung nicht auch meinen Vater dazu, ein bequemes Leben in Amerika auszuschlagen und zum Kämpfen in den Nahen Osten zu gehen?
    Alexandre und seine Cousins fuhren also nach England, noch bevor General de Gaulle dazu aufrief, und schlossen sich der 2. französischen Panzerdivision von General Leclerc an. Sie wurden in London ausgebildet, machten den ganzen Afrikafeldzug und die Landung in der Normandie mit und zogen mit den französisch-amerikanischen Truppen am 25. August 1944 ins befreite Paris ein.
    Der Rest der Familie durchquerte Spanien und machte in Sintra Station, fünfundzwanzig Kilometer von Lissabon entfernt. Die Erwachsenen belagerten Tag für Tag die Botschaften und Konsulate, um – die Zahl der Flüchtlinge in der Familie hatte sich inzwischen vermehrt – einundzwanzig Visa für welches Land auch immer Land zu ergattern, ob Paraguay, Argentinien oder Chile. Visa in die USA waren kostbar.[ 8 ]
    Paul erzählte später einer amerikanischen Zeitung, dass er sich, als Flüchtling in Portugal angekommen, an das British Relief Office wandte, wo man ihm ein hartes Ei und ein Stück Brot in die Hand drückte: »Stellen Sie sich einen Mann vor, der in seinem Leben alles hatte (…) und in der Woche daraufseine Arbeit, sein Haus, sein Vermögen, seine Freunde verlor. Ich saß mit einem harten Ei und einem Stück Brot auf einem Mäuerchen und konnte mich nicht halten vor Lachen.«[ 9 ]
    Um in die USA zu gelangen, brauchte man, wie Emmanuelle Loyer schreibt, Beziehungen in den Vereinigten Staaten, man musste Geld haben, um »die Überfahrt zu bezahlen (…), eine gewisse Bekanntheit, (…) tatkräftige amerikanische Freunde oder Kollegen, viel Energie und ein bisschen Glück«. Zudem verlangten die Amerikaner von den Flüchtlingen die Garantie, dass sie in den Vereinigten Staaten ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten, »lauter Bedingungen, die vielen das Entkommen unmöglich machten«.
    Im August 1941 löste sich die Situation dank Pauls altem Freund Alfred Barr. Der MoMA-Direktor musste zwar kämpfen, um den Amerikanern, denen der Name Paul Rosenberg nichts sagte, begreiflich zu machen, wie vorteilhaft es für die USA im Hinblick auf die Kunst wäre, ihn in ihrem Land aufzunehmen. Aber er konnte sie überzeugen.
    Die Rosenbergs erhielten also die kostbaren Visa. Die Familie Helft (Schwestern, Schwager und Cousins meiner Großeltern) vier Tage später ebenfalls.
    Drei- oder viertausend Franzosen gelang es dank unterschiedlichster Beziehungen, in die USA einzureisen. Paul und seine Familie schifften sich am 20. September 1940 nach New York ein.
    Siebzig Jahre später macht mein Besuch in Floirac diesen Exodus realer. Ich kann jetzt nachvollziehen, warum meine Mutterdieses Haus nie wiedersehen wollte, das ihre letzte Station in Frankreich gewesen war.
    Ich selbst bin verstörter, als ich gedacht hätte. Die beiden Stellvertreter der Bürgermeisterin zeigen Verständnis. Sie

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