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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sinclair
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Dachgeschoss des Museums und hoffe, in diesen Briefen mehr darüber zu erfahren als in den Büchern, was diese beiden scheinbar so verschiedenen Männer miteinander verbunden hat.
    Aber es ist merkwürdig, diese Briefe in nur einer Richtung zu lesen, man malt sich die fehlenden Antworten aus, versucht die Lücken zu füllen. Immerhin erfahre ich einiges über das Familien- und gesellschaftliche Leben meines Großvaters in diesen Jahren.
    Die Korrespondenz hat Picassos Familie dem Museum geschenkt, sie enthält nur die Briefe von Paul. Briefe von Picasso an Paul besitze ich fast keine: Picasso schrieb selten, und die wenigen Briefe sind während des Kriegs von den Besatzern oder französischen Kollegen gestohlen worden. Vielleicht finden sich eines Tages bei einem Trödler Briefe, die mit »Mein lieber Rosi« anfangen, wie Picasso Paul nannte, der ihm mit »Mein lieber Pic« antwortete.
    Ich muss also versuchen, die Beziehungen, den Dialog zwischen ihnen zu rekonstruieren. Was erzählten sie sich? Alltägliches, oder sprachen sie, analog zu den berühmten
Gesprächen
von Goethe und Eckermann, über Racine und Delacroix? Tatsache ist, dass sie sich, wie kleine Jungens, durch ihre Küchenfenster unterhielten, die auf denselben Hof hinausgingen. Nicht selten zeigte Picasso Paul durchs Fenster auch das Bild, an dem er gerade arbeitete. Und es verging kaum ein Tag, ohne dass Picasso bei seinem Freund und Händler vorbeischaute.
    Pauls Briefe, in der unaufdringlichen Schrägschrift der Menschen um die Jahrhundertwende, beginnen zunächst mit: »Mein lieber Freund«, später heißt es dann »Mein lieber Pic« oder »Mein lieber Casso« (wie meine Mutter ihn als Kind nannte). Sie haben oft einen frivolen Unterton, der für Picasso nach der Ernsthaftigkeit von Léonce gewiss überraschend war.
    Das Du kam, nach zwanzig Jahren Siezen, erst nach dem Krieg, als hätten die beiden Männer, die fast wie Zwillinge gewesen waren, bevor der Krieg sie getrennt und einander entfremdet hatte, beschlossen, dass die Tragödien des Jahrhunderts sie von der höflichen Distanz der Vorkriegszeit befreit hatten.
    Anfangs tastet sich Paul sichtlich vor. Er entdeckt die, wie er spürt, unermessliche Kunst dieses Malers, aber er versucht noch, sie zu verstehen. »Léonce sagt, Sie seien als kubistischer Maler größer, als wenn Sie nach der Natur malen … Denke ich zu beschränkt?«[ 7 ]
    In den Zwanzigerjahren wird Picasso nach London eingeladen und begeistert empfangen. Paul ist fasziniert von Picassos Triumph und dem Enthusiasmus, mit dem er in der »gentry« Großbritanniens aufgenommen wird. Picasso gehört nun zur »ultra-schicken«[ 7 ] Gesellschaft und schreibt, er habe in London »in der feinen Gesellschaft verkehrt«.[ 8 ] Das gefiel ihm, und zwar noch ein paar Jahre lang, bevor er sich, unter dem Einfluss der Surrealisten und in die junge Marie-Thérèse Walter verliebt, in sein Haus in Boisgeloup zurückzog, wo er ein einfacheres Leben führte.
    Die Briefe sind zum größten Teil auf Reisen und in den Ferien geschrieben, wenn einer von beiden nicht in Paris war. Warum sollten sie sich auch schreiben, da sie doch in Rufweite nebeneinander wohnten? Allenfalls einige freundschaftliche Zeilen, wie man sie auf Visitenkarten für den Nachbarn hinterlässt. »Können wir nach dem Abendessen zu Ihnen hinaufkommen? Antworten Sie bitte durchs Fenster«, schrieb Paul schon 1918. Oder scherzhaft: »Ich bin bei Ihnen gewesen, Sie waren nicht da. Hiermit lade ich Sie zu mir nach Hause vor.«
    Paul blieb im Sommer in Paris oder fuhr nach Deauville, während Picasso – lange vor der Bardot, der Nouvelle Vague und den Fünfzigerjahren – die Côte d’Azur entdeckte, Juan-les-Pins, Antibes, später dann Cannes und Mougins, und dort wochenlang malte, wie Cézanne und van Gogh trunken vom Licht und den Farben. Damals war der Süden in der sommerlichen Schwüle eine von der Bourgeoisie gemiedene Wildnis, sie zog die kühleren Temperaturen der Normandie vor.
    Picasso reichten Pinsel, Leinwand und seine Vorstellungskraft, er brauchte nicht um den Globus zu reisen, um neue Welten zu entdecken. Er reiste wenig, hat auch nie amerikanischen Boden betreten, obwohl sein Werk dort Triumphe feierte. Paul hingegen fuhr gern in Städte, um seine Sinne zu erfreuen. Auch seine Frau und die Kinder sollten Europa entdecken, besser gesagt, die Museen Europas! Über Plätze zu schlendern, durch Geschäfte zu bummeln oder in einer Bar Flamenco zu tanzen kam für die

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