Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Rosenbergs nicht infrage. Für sie waren die Ferien zur Bildung da: vom Kunsthistorischen Museum in Wien bis zum Prado in Madrid, von der Accademia in Venedig bis zur National Gallery in London. Am liebsten fuhr Paul nach Italien, das ihm Bewunderungsrufe entlockte.Aus Florenz schrieb er 1923 seinem Freund: »Mittelmäßige Malerei ist mir mehr und mehr zuwider. Drei Maler bleiben, die ich bewundere: Corot, Cézanne und Sie. Durch die alten Italiener und Flamen und die großen Meister lerne ich Ihre Malerei noch mehr lieben.« Und 1932: »Ich bin über Mailand, Genua, Pisa, Volterra und Siena nach Rom gekommen, um zu merken: an allen Ecken und Enden Corot, manch mal Cézanne.«
Im Januar 1936 entdeckte er aufgewühlt Ägypten, das Museum in Kairo, die Pyramiden, Luxor. »Was für Künstler, unbehindert durch die angehäuften Konventionen!«
Jerusalem hingegen ließ ihn kalt: »Keineswegs erkenne ich hier meine Vorväter. Ich jammere doch lieber in Paris, als wie meine Artgenossen an einer Mauer zu klagen.« Zum Zeitpunkt dieses Besuchs stand Palästina unter britischem Protektorat, und die Klagemauer befand sich bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967 in einem engen Sträßchen. Keine mystische Offenbarung also, kein ehrfürchtiger Schauer vor diesen Bruchsteinen, die nur anziehend sind durch das, was man ihnen selbst hinzufügt.
Mein Großvater war Jude aufgrund des Namens, der Zugehörigkeit und der Tradition, aber nicht aufgrund eines religiösen Bekenntnisses. Ich habe viele Erinnerungen an meine sehr fromme Großmutter, die morgens und abends in ihrem Zimmer betete und einen Platz in der Synagoge in der Rue de la Victoire hatte wie all die alten Familien, die vor dem Krieg »israelitisch« genannt wurden. Aber ich erinnere mich an keinerlei Anzeichen, dass mein Großvater sich dem Judentum besonders verbunden gefühlt hätte. Das einzige war, dass er als starker Raucher (mehrere Päckchen pro Tag) an YomKippur keine Zigarette anrührte und dies für ein sehr viel größeres Opfer hielt als das Fasten und die Bigotterie der übrigen Familie.
Paul und Pic entstammten nicht demselben gesellschaftlichen Milieu, und Picassos bürgerliche Periode – Anzug, Weste, Zigarre – blieb auf ein paar Jahre beschränkt. »Mein Traum wäre«, sagte er einmal zu Léonce, »reich zu sein, aber zu leben wie ein Armer.«
Die Rechnungen aus den Jahren 1920–21 zeigen, dass Rosenberg seine Maler für die damalige Zeit komfortabel ausstattete: Für ein großes Gemälde bezahlte er Picasso 50.000 Francs, für ein Aquarell 12.000 Francs, für ein kubistisches Stillleben 2.400 Francs.[ 9 ] Im Oktober 1923 erhöhte Picasso seine Preise um mehr als hundert Prozent, entwickelte also ebenfalls Geschäftssinn. Paul erzählte 1941
Newsweek
davon: »Ich suche mir in Picassos Atelier die Bilder aus, die ich kaufen will, und als wir über den Preis reden, wird es amüsant. Wir tauschen schreckliche Argumente aus, aber immer in aller Freundschaft. Eines Tages habe ich zu ihm gesagt, ich würde ihn am liebsten in die eine Wange beißen und auf die andere küssen!«[ 10 ]
Der eine hatte also seine »Bourgeoisperiode«, und der andere, gewiss kein Bohemien, verkehrte in Kreisen, die es schon gar nicht waren und denen anzugehören er nicht immer glücklich war. Paul ertrug die mondänen Aufenthalte in Deauville, Evian oder Sankt Moritz schlecht, in den Briefen beklagt er sich über alles, vor allem über den Regen in der Normandie, und träumt von der Sonne des Südens.
»Hier ist man sehr beschäftigt – Leute zu treffen, die manin Paris Tag für Tag sieht.« Oder er scherzt: »Das ist eine Gegend für Sie, sehr kubistisch und voller Verhältnisse zwischen:
1) Franzosen und Ausländern,
2) Kokotten und ehrbaren Frauen,
3) Spielern und seriösen Leuten,
4) Spitzbuben und anständigen Leuten,
5) Personen, die im Gefängnis waren, und solchen, die hineinkommen werden,
6) Leuten, die sich amüsieren, und solchen, die sich aus Snobismus dort zeigen. In diesem Punkt besteht ein Missverhältnis.«
Zu welcher Kategorie er sich selber zähl te, bleibt offen. Aber seine Jeremiaden waren etwas scheinheilig, denn er verachtete diese Ferien der wohlhabenden Pariser keineswegs. Trotz der Kritik an all den Snobs, angefangen bei seiner eigenen Frau, die sich in diesen – ja durchaus nicht für alle Franzosen – goldenen zwanziger Jahren sinnlosen und teuren Zerstreuungen hingaben, saß er selbst jeden Abend am Bakkaratisch, stolzierte wie alle anderen im
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