Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
geschäftlichen Angelegenheiten seines Freundes zu sprechen, die er in die Hand genommen hat, und vor allem auf die ungeduldig erwarteten Bilder: »Ihre Rechnungen sind bezahlt (…) Aber Sie schreiben nichts über Ihre Malerei und das, was Sie gemacht haben, in welchem neuen Stil Sie malen. Ich fürchte mich vor Ihren Aufenthalten in Dinard. Sie massakrieren die Menschheit dermaßen, dass ich Angst habe, Sie werden es noch mehr tun, wenn Sie Ihren Figuren wieder ein menschliches Gesicht geben.« Das sind die ersten Anzeichen jenes von privaten und historischen Erschütterungen geprägten Stils Picassos in den Dreißigerjahren, etwa in den aufgesplitterten Porträts von Dora Maar, die er 1936 kennenlernte. Im selben Jahr brach der spanische Bürgerkrieg aus.
Wegen Pauls fragiler Gesundheit, seinen häufigen Magengeschwüren fuhren die Rosenbergs seit 1927 auch nach Vittel oder Evian zur Kur. »Keine Anstrengungen, ein friedliches, ruhiges Leben. Es ist ein Traum, nur für meine Frau nicht, die sich hier nicht besonders amüsiert. Sie möchte nach Deauville. Um des lieben Friedens willen werde ich nachgeben.«
Wenn man die Briefe aus der Zwischenkriegszeit liest, staunt man, wie wenig darin von den politischen Entwicklungen inEuropa die Rede ist. Als hätten sie sich in die Kunst und die Freundschaft versenken wollen, weit weg von den Angelegenheiten der Welt. Nur die Unterzeichnung des Friedensvertrags nach dem Ersten Weltkrieg und die anschließenden Feiern werden kurz erwähnt. Aber weder die Weltwirtschaftskrise 1929 noch die militanten rechtsextremen Bünde der Dreißigerjahre, weder die Volksfrontregierung noch der spanische Bürgerkrieg, noch Hitlers Machtübernahme tauchen im Briefwechsel auf, der doch vierzig Jahre umfasst. Wahrscheinlich haben sie sich darüber mündlich unterhalten. Schriftlich geht es um die Malerei, immer um die Malerei, und den Alltag.
So bleibt ihre Beziehung über zwanzig Jahre lang. Viele Vorwürfe von Paul, dem vernachlässigten Freund, der sich oft verstimmt zeigt und einen Brief oder zumindest eine Nachricht fordert. Der Ton ist herzlich, ehrfürchtig und kameradschaftlich zugleich. Manchmal auch fast zärtlich: »Es sind jetzt acht Tage, dass wir Sie nicht gesehen haben. Ich bin unruhig, und meine Freundschaft leidet darunter.« Diese Freundschaft hat etwas Starkes, Ausschließliches, als wäre Picasso Pauls einziger Freund gewesen. Vielleicht war Picasso der einzige, der seinen unruhigen Charakter verstand? »Ich sehe Ihre geschlossenen Fensterläden, das ist traurig«, schreibt Paul an sein Alter Ego. »Ihre Bilder hängen an meinen Wänden, und Ihr tägliches Kommen fehlt mir.« Eine Brüderlichkeit wie zwischen Montaigne und La Boétie, eine augenzwinkernde Reverenz an die Straße, in der sie beide wohnen?
Es folgen die Klagen über die endlosen Renovierungsarbeiten in der Galerie Rosenberg, über den darniederliegenden Kunstmarkt, die seltenen Käufer und die wenigen Kunstliebhaber. »Ich habe ein Vermögen für alte Rahmen ausgegeben.Aber die Bilder werden so selten gekauft, dass ich bald nur noch die Rahmen verkaufe. Die Sauce wird helfen, den Braten zu schlucken!« Trotz dieser Lamentos gab es gute Zeiten, in denen die Preise der »zur Börse gewordenen Kunst« explodierten, Ende der Zwanzigerjahre und in den USA unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber wenn man Paul hörte, gingen seine Geschäfte sein Leben lang schlecht.
Hin und wieder verfiel mein Großvater in Depressionen, oft im Zusammenhang mit seiner schlechten Gesundheit und seinen chronischen, schmerzhaften Magenbeschwerden, die ihm das dürre, fast abgezehrte Aussehen verliehen, das mich in meiner Kindheit so beeindruckte. Meine Großmutter hingegen besaß die schöne weiche Rundlichkeit, die Kinder zum Schmusen verlockt.
Im September 1929 vertraute Paul Picasso an: »Ich muss die Hölle in mir haben, dass ich mich überall da wohlfühle, wo ich nicht bin.« Ein herrlicher Satz. Es kommt selten vor, dass er sich so offen über seine seelische Verfassung und sein Privatleben äußert. Zwischen meinen Großeltern kam es oft zu heftigen Auseinandersetzungen, die die Ehe belasteten, ohne dass sie daran zerbrach. Aber von diesen Szenen weiß ich nur durch Familienmitglieder, in den Briefen an Picasso habe ich kein Wort darüber gefunden.
Hat er seinem Freund im Haus nebenan überhaupt je davon erzählt? Damals war man wahrscheinlich eher zurückhaltend, denn Paul erwähnt auch Picassos Trennung von Olga
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