Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
erste Matisse ausstellte. Aber Picasso suchte schon früh nach finanzieller Sicherheit, um in Ruhe malen zu können. Ambroise Vollard, der Entdecker Cézannes, kaufte Picasso 1906 zwanzig Bilder für 2000 Francs ab. 1910 begeisterte sich Daniel-Henry Kahnweiler, der seine Galerie damalsin der Rue Vignon in der Nähe der Madeleine hatte, für Picasso und nahm ihn unter Vertrag. 1913 kaufte Kahnweiler ihm dreiundzwanzig Bilder ab, für 27.250 Francs – Picassos erste »große« Einkünfte. So viel Geld hatte er noch nie gehabt. Der Betrag entspricht etwa 85.000 Euro, etwas mehr als 3.500 Euro pro Bild. Aber diese Sicherheit war nicht von langer Dauer. 1914 musste Kahnweiler sein Geschäft zumachen: Er war deutscher Staatsbürger, sein Vermögen wurde konfisziert, und er selbst floh nach Bern. Picasso suchte eine neue Galerie. Er fand 1915 Léonce Rosenberg, den Bruder meines Großvaters. Léonce, ein leidenschaftlicher Anhänger des Kubismus, sagte zu ihm: »Zusammen werden wir unschlagbar. Sie werden der Schöpfer sein, ich werde handeln.«[ 4 ]
Léonce, der ab 1910 seiner eigenen Wege ging, war waghalsiger als sein Bruder, avantgardistischer, auch verschwenderischer – er investierte oft mehr, als er einnahm. Paul, der damals noch vorsichtiger war, setzte auf die französischen Maler des 19. Jahrhunderts und machte nur gelegentlich Ausflüge zu den zeitgenössischen Künstlern.
Paul also ein Traditionalist und Léonce ein Anhänger der Moderne? Es gehörte lange zum guten Ton, Léonce einen begabten Entdecker, aber ungeschickten Geschäftsmann zu nennen und Paul einen gewieften Geschäftsmann mit mehr Neigung für den Handel als für die Kunst an sich. Doch Paul interessierte sich nicht für die alten Meister, im Gegensatz zu seinen Kollegen, die mit diesen sicheren Werten gute Geschäfte machten, sondern ging das Risiko ein, zeitgenössische Maler unter Vertrag zu nehmen. Eine der ersten war 1913 MarieLaurencin. Noch 1943 schrieb Paul in einem Brief: »Es wäre so viel einfacher und lukrativer [für mich], Ausstellungen mit den großen französischen Meistern des 19. Jahrhunderts zu machen, als zeitgenössische Maler auszustellen, die das Publikum verunsichern.«[ 5 ]
Aber wenn man zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bilder von Renoir ausstellte und verkaufte, förderte man die Kunst einer kaum vergangenen Epoche. Und die transparenten Gemälde Claude Monets, der erst 1926 starb, waren auch noch nicht zu Klassikern geworden. Paul interessierte sich weder für Fragonard noch Boucher, die damals sehr gefragt waren, auch nicht für Juan Gris und Léger wie sein Bruder.
Doch es stimmt, dass Léonce sich mehr als sein Bruder für den Kubismus begeisterte, den er als die Vollendung der Malerei betrachtete – wie diejenigen, die den Fall der Berliner Mauer nicht nur für das Ende einer geschichtlichen Epoche, sondern für das Ende der Geschichte überhaupt hielten.
Léonce wollte Picasso in seiner Galerie »Effort Moderne« in der Rue de La Baume zum Bannerträger einer Schule machen, deren der Spanier schon überdrüssig war. Picasso hatte genug von Bildern à la Albert Gleizes und Jean Metzinger. Er entfernte sich mehr und mehr von den Kubisten und schwärmte für Diaghilev und dessen Ballets Russes, zu deren Ballett
Parade er
1917 das Bühnenbild schuf – zum Leidwesen von Léonce, der befürchtete, diese Eskapaden würden Picasso seiner wahren Bestimmung als Oberhaupt des Kubismus entfremden.
Aber Picasso hing an seinen Wurzeln in der rosa Periode und seinen Harlekinen, die in den klaren, harten Linien desKubismus verschwunden waren. Als Cocteau ihm in seinem berühmten »Ordnungsruf« vorwarf, ein Gefangener der Maler zu bleiben, die ihn kopierten und einsperrten, brach er mit dem Kubismus und wandte sich dem Neoklassizismus zu – vielleicht auch, um gesellschaftliche Größen wie Cocteau und Eugenia Errázuriz für sich gewinnen.
Daher ging 1918 nichts mehr zwischen Picasso und Léonce Rosenberg. Picasso war reif für die Begegnung mit Paul. Ich habe keine Spur von dem Gewissenskonflikt gefunden, der das für Paul gewesen sein muss, oder von Eifersucht bei Léonce, überhaupt von keinem Streit. Nur ein späteres Zeugnis von Léonce, der ein guter Verlierer war und genau wusste, dass sein Maler ihn so oder so verlassen hätte, und letzten Endes froh war, dass er zumindest in der Familie blieb.
Im Sommer vor Ende des Ersten Weltkriegs also trafen sie sich. Die Rosenbergs hatten eine Villa in Biarritz gemietet,
Weitere Kostenlose Bücher