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Lieber tot als vergessen

Lieber tot als vergessen

Titel: Lieber tot als vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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Kreis. Können Sie mir sagen, was mit ihm los ist?«
    Carlas Gesicht ging aus den Fugen vor Lachen. Ich glaubte, sie würde ersticken. Sie hielt ein Kissen in der Hand und hämmerte mit der Faust darauf.
    »Tja, da machen Sie mich ratlos, Pat«, sagte Charles Fairweather. »Ich weiß nicht sehr viel über Meerestiere. Ich meine... Sie sind sicher, daß es sich um Hummer handelt, nicht etwa um Krebse?«
    »Nein. Auf jeden Fall Hummer. Ich hab’ sie in der Tierhandlung als Hummer gekauft.«
    »Tja, Pat, das ist aber merkwürdig... sie sind offensichtlich nicht besonders glücklich. Wie pflegen Sie denn Ihr Meerwasseraquarium? Sind Sie sicher, daß es weitgehend... äh... ausgewogen und sauber ist?«
    »Nein.«
    »Sie sind nicht sicher?«
    »Nein, es ist kein Meerwasseraquarium. Ich hab’ ein Süßwasseraquarium.«
    Das Glucksen, das über den Sender kam, war Steve Webb, der ein Lachen unterdrückte. »Ach so. Na, in diesem Fall... dann leiden sie unter extremem Mineralverlust, und sie werden ganz bestimmt sterben. Es sind Meerestiere, und sie können in Süßwasser nicht leben. Sie brauchen Salzwasser, Pat, und das hätte man Ihnen in Ihrer Tierhandlung sagen müssen. Meine Güte, das ist, als wollten Sie einen Menschen auf den Mars setzen und erwarten, daß er da überlebt. Es ist einfach nicht die richtige Umgebung. Absolut lächerlich!« Fairweather hatte erst ganz sanft geklungen, aber seine Stimme hob sich zu einem quiekend ermahnenden Ton, bevor Steve Webb der Sache mit einem gutgelaunten Kichern ein Ende machte.
    »Keine psychologische Frage also, Pat. Wenn Sie etwas in die falsche Umgebung setzen, wird es seine Schale abwerfen, sich auf den Rücken legen, komische Sachen machen und eingehen. Genausogut hätten Sie ihnen eins auf den Kopf geben, sie in den Topf werfen und aufessen können. Mmmm... lecker. Sorry, Pat. So, und wen haben wir jetzt in der Leitung? Charlie... Er hat ein Problem mit seinem Rottweiler. Der frißt alle möglichen Sachen auf...«
    Ich starrte Carla mit schreckgeweiteten Augen an, und sie starrte mich an. Der Schock dauerte ungefähr dreißig Sekunden, und dann kippten wir lachend hintenüber, und die Tränen rollten uns über die schmerzenden Wangen. Arme Pat in Dagenham. Hätte ihnen genausogut eins auf den Kopf geben, sie in den Topf werfen und aufessen können. Hummer. Überall gepanzert, aber Wasser bringt sie um.

    Mr. Showbusiness hatte aufgehört zu reden; ich nahm also mein Notizbuch vom Tisch und stand auf, um zu gehen.
    »Nehmen Sie die mit«, sagte er und drückte mir zwei Exemplare der Coverfotos in die Hand.
    Es war Carlas Bild, das ich auf der Heimfahrt im Zug anschaute. Dieses Bild würde nun millionenfach reproduziert werden, um ebenso viele LPs zu verkaufen. Sie hätte es gern gehabt, wenn ich sie so gesehen hätte. Jetzt würde jeder Gelegenheit haben, sie so zu sehen, zartrosa und gesund. Aber es war ein Fake, eine Fälschung. Sie war kalt und tot. Ihr malvenfarbener Mund klaffte offen, ihre Lippen waren schwarz, ihr feuchter blonder Kopf rollte schlaff hin und her, ihre Haut war grau. Das war nicht zu fälschen. Es war kein kleiner Tod, es war der große. Sie hatte sich auf den Rücken gedreht und war gestorben wie ein Hummer in einem feindseligen Süßwasseraquarium, ein Geschöpf in der falschen Umgebung, ein Opfer der Ignoranz. Es war wirklich nicht komisch.

Am Sonntag morgen ging ich zum Markt nach Camden Lock. Ich ging unter dem Vorwand, Weihnachtsgeschenke zu kaufen, obwohl es viel zu früh für mich war. Aber es führte mich aus meiner einsamen Wohnung hinaus, wo das Telefon klingelte und keine Neuigkeit kam, die ich hätte hören wollen. Als ich die Menschenmassen sah, kehrte das hohle Gefühl in der Magengrube zurück. Es war das Gefühl schmerzlicher Erwartung, etwas zu finden, das man verloren hatte, was einen vorwärtstrieb, jedem passenden Gesicht, jeder Ecke entgegen, ein Gefühl, das einen mit dem irgendwie freudigen Schmerz der Selbsttäuschung mit sich zog. Sie könnte hier sein, oder dort, sagte das Gefühl, und wäre das nicht toll?
    Ich zog die Jacke aus und warf sie mir über die Schulter, als ich an den Ständen mit den bunten Wollpullovern und den Holzspielsachen vorbeiging. Es war wieder einer dieser ungewöhnlich warmen Tage vor dem Winter, wenn die Bäume die braunen Überreste ihrer Blätter abwerfen und sich versiegeln, bevor der Frost einsetzt.
    »Carla Blue, Seethru. Johnny Waits, Unreleased. Zwei Pfund neunundneunzig.

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