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Lieber tot als vergessen

Lieber tot als vergessen

Titel: Lieber tot als vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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Ich lächelte die ganze Zeit.
    Tommy erwies sich als sehr gesprächig, ohne über etwas Spezielles zu sprechen. Er sagte, ihm gefalle mein kurzes dunkles Haar, meine blauen Augen und mein kurzer Rock, aber er war einer von den Typen, die man hin und wieder dabei erwischt, daß sie verschlagen zu jemand anderem hinüberblicken, während sie mit einem reden. Er spendierte eine Runde für zwei Freunde am Ende der Theke, und als sie zu uns kamen, ging ich. Seine Telefonnummer war in meiner Jackentasche.
    »Das ist die Bude von meinem Bruder, aber du kannst eine Nachricht hinterlassen.«
    Ich ging schnurstracks nach Hause und ließ die Kassetten laufen. Die Tonqualität war gut; also hatte ich wahrscheinlich Kopien von der ersten Aufnahmerunde. Das heißt, wenn es Kopien waren. Die Läden hatten sie noch nicht; also konnten Tommy und sein Team sie nicht gekauft haben, um Kopien zu ziehen. So machten Piraten es; komplizierter war es nicht. Ich hörte mir die Aufnahmen an und betrachtete die Cover und die Schachteln. Sie hätten leicht echt sein können. Womöglich waren sie gestohlen, vom Lastwagen herunter, buchstäblich auf dem Weg zu den Läden. Tommy hatte behauptet, sie wären echt, wie es jeder Straßenhändler mit etwas Selbstachtung behaupten würde. Auch die Covergrafik war gut genug.
    Carlas Stimme erklang klar und süß im ersten Stück, und die Töne stocherten in meiner Erinnerung an sie. Ich rechnete damit, daß mir Tränen in die Augen steigen und mir über die Wangen laufen würden, aber es kamen keine. Als das zweite Stück anfing, stand ich auf und ging in die Küche, wo ich den Wein aufbewahrte; ich goß mir ein großes, kühles Glas ein. Die Musik brachte es einfach nicht. Was ich brauchte, war Joni Mitchell mit »Blue«.
    Als die erste Seite um war, nahm ich Carla heraus und schob Waits ins Deck. Ein oder zwei Stücke waren so gut wie alles, was ich von ihm kannte, aber der Rest lag unter dem Niveau — kaum gut genug, um dabei die Autobahn runterzufahren. Es waren Out-Takes, Aufnahmen, die für die früheren Alben nicht gereicht hatten und deshalb unveröffentlicht geblieben waren. Es war nicht so, als hätte Ghea bei dem Typen auf dem Speicher plötzlich eine Schatztruhe gefunden. Es gab zwei neue Aufnahmen von 1988. Ich warf einen Blick auf die Innenseite des Umschlags. Das eine hieß »Crystal Form« und handelte von einem rufenden Delphin, und das andere war eine mystisch getragene Nummer mit dem Titel »The Channeller«. Sie waren ein paar Monate vor seinem Tod in Kalifornien aufgenommen worden, vermutlich in der Morgendämmerung des »New Age«. Ich dachte mir, daß in der »Dolphin«-Nummer ein ganz ordentliches Potential steckte, obwohl sie hart zu kämpfen hatte gegen all die Gongs und das Glöckchengeklingel, das aus den Boxen kam. Meinem Telefon ging es da nicht anders.
    Es klingelte schon eine ganze Weile, bevor ich aufsprang, um den Hörer abzunehmen. Jedesmal hoffte ich, es werde jemand sein, der mir sagte, es sei alles ein Irrtum, und Carla sei am Leben; jemand anders sei ertrunken. Jemand, der mir egal war. Aber es war St. John, und er war verärgert, weil es so lange gedauert hatte. Sie brachten Carla morgen zur Beerdigung nach Hause, und Carlas Mutter hatte darum gebeten, daß ich dabei sei. »Sei um acht am Check-in in Heathrow. Wir fliegen dann nach Cornwall«, sagte er und legte auf. Er redete, als ob es sich um einen x-beliebigen Auftritt außerhalb handelte.
    Diesmal setzte ich den Kopfhörer auf, als ich die Bänder nochmal laufen ließ und mich dabei durch eine Flasche kühlen, trockenen Wein und zwei Käse-Tomaten-Sandwiches arbeitete. Während des nüchternen Teils dieser Session fragte ich mich, wie Tommy an seine Tapes gekommen war und was es jemandem wert sein könnte, das zu wissen, aber als ich wieder bei dem Delphin angekommen war, hatte ich Tommy vergessen und erinnerte mich an meinen Exgatten Eddie und unseren gemeinsamen Besuch in Sea World. Er lebte jetzt in Kalifornien und machte Geld mit Computer-Software. Er war ein Glückspilz. Er war nie wirklich erwischt worden, weder von mir noch von sonst jemandem, weder in der Liebe noch bei einer seiner einträglichen Betrügereien. Man war ihm wohl draufgekommen, das wohl, aber das war nicht das gleiche.
    Die Musik war zu Ende, die Flasche war leer, und ich dachte wieder an Carla. Das Telefon klingelte nicht noch mal.

    »Herrgott, ist das zu glauben? Ich habe nur einen Bus geschickt, aber es müssen fünf oder sechs

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