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Lieber tot als vergessen

Lieber tot als vergessen

Titel: Lieber tot als vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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Super-Angebot.«
    Das monotone Genäsel kam von rechts, und ich drehte mich rasch um und sah, wie ein mittelgroßer junger Mann mit dunkel glänzendem, schulterlangem Haar und einem goldenen Ohrring eine Tonbandkassette in der flachen Hand hochhielt und sie den neugierigen Passanten zeigte. In der gewölbten anderen Hand hielt er eine Zigarette verstohlen hinter dem Rücken, während seine Füße auf dem Pflaster scharrten. Blauweißer Rauch wehte im leichten Wind hinter ihm.
    Er war ein fliegender Händler — einer, der für seinen Standplatz nicht bezahlte, wie es die Markthändler sollten. Er schleppte einfach einen Koffer mit guten Sachen heran, klappte ihn zwischen den anderen Ständen auf dem Gehweg auf und fing mit seinen Geschäften an, während er stets mit einem wachsamen Auge Ausschau nach der Polizei oder der Marktaufsicht hielt. Um ihn herum war ziemliches Gedränge, und das war nicht verwunderlich. In einem offenen Koffer vor ihm auf dem Boden stapelten sich neue Kassetten. Als ich mich nach vorn durchgedrängelt hatte, erkannte ich ein paar der Kassettencovers. Die Bilder hatte ich das letztemal in Surrey gesehen, einen Tag nach Carlas Tod.
    Ghea Records hatte die Platten noch gar nicht herausgebracht — woher also hatte der Typ sie? Die meisten Piratenkassetten werden von gekauftem Material kopiert; der Pirat schieb ein legales Tape in ein Kopierdeck und zieht ein paar tausend Kopien. Aber die Kassetten, CDs, LPs und Videos von Carla Blues Seethru und von The Unreleased Johnny Waits waren noch gar nicht in den Geschäften, und trotzdem verscherbelte der Typ hier die Kopien wie warme Semmeln auf der Straße. Carla Blues Seethru und The Unreleased, Johnny Waits — das Traumticket.
    »Okay, Tommy! Hey!« rief jemand von der anderen Straßenseite herüber. »Hau ab!«
    Tommys nikotinfleckige Finger bewegten sich flink, als er sich bemühte, Kassetten und Geld in seinen Koffer zu stopfen, bevor der, den sein Schmierensteher entdeckt hatte, in Sicht kam.
    Ich fuhr mit beiden Händen in seinen Koffer, bevor er ihn zuklappen konnte, und packte je eine der beiden Kassetten.
    »Hör auf, Herzchen! Was soll’n das?«
    »Ich muß sie haben«, sagte ich. »Hier sind sechs Pfund. Behalt das Wechselgeld.«
    Er knallte den fast leeren Koffer zu und schlenderte nonchalant über die Straße und in einen Pub. Er kam aus dem East End; das sah man an dem smarten Gang, einen seemannsartigen Stolzieren mit einwärtsgewandten Füßen und abrollendem Schritt, wobei die Schultern abwechselnd vor und zurückgeschoben wurden. Man brauchte nicht weiß zu sein, um so zu gehen, aber man mußte aus dem Londoner East End kommen.
    Ich schob mich neben ihn an die kalte Messingstange am Tresen. »Hast du noch mehr?«
    »Was?«
    »Kassetten.«
    »Ach so. Nee. Du hast die letzten beiden. Danke für die zwei Pence Trinkgeld.«
    Er nahm einen großen Schluck von seinem Bier. Ich stand da und bemühte mich, klein und enttäuscht auszusehen, bis Tommy über sein Glas hinweg zu mir herüberschaute und erkannte, daß ich nicht vorhatte, zu verschwinden. Er stellte sein Bierglas auf die Theke, schob die Hände in die schwarzlederne Bomberjacke mit dem Reißverschluß und rückte sie zurecht. Er war ein großknochiger, gutaussehender Mann mit schlechter Haut, dabei ziemlich dünn, so daß sein Hintern die dort etwas schlotternde Levi’s nicht ausfüllte. Seine großen, runden nußbraunen Augen schauten unter einem Knochenwulst hervor, der seine Stirn war, und die breiten, dichten Brauen waren in der Mitte fast zusammengewachsen. Wo sie über der Wurzel der leicht gekrümmten Nase aufhörten, knickten sie nach oben, so daß er wirkte, als habe er eine Frage nicht verstanden.
    »Hier, kannst gucken«, sagte er schließlich; er bückte sich an der Theke herunter und ließ den Koffer aufschnappen. Es waren ungefähr zwanzig Kassetten drin, und keine von Carla oder von Johnny Waits.
    »Nichts mehr von Carla Blue oder Johnny Waits? Ich will noch welche für jemand anders.« Ich rückte so nah an ihn heran, daß ich das weiche Leder seiner Jacke riechen konnte.
    »Nee. Paß auf, ich bin nächsten Sonntag wieder hier, und ich hab einen Schuhstand unten am Roman, donnerstags. Vielleicht habe ich da welche. Okay?«
    »Yeah. Okay. Danke.« Ich richtete mich auf.
    »Was trinken?« Er klappte den Koffer zu und sah sich meine Beine an.
    »Ich trinke nicht vor... ach, verflucht, warum nicht? Ich hab noch nie jemandem aus dem Musikgeschäft kennengelernt.«

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