Lieber tot als vergessen
Er sagte nichts mehr. Wir saßen still da und rauchten seine Zigaretten, Mr. City und ich. Bei der dritten Tasse Kaffee fing ich an zu reden, mehr mit mir selbst als mit Keith.
»Ich habe Tony angerufen. Er hat mich gleich durchschaut. Die Story in der Zeitung hat er nicht geglaubt. Anscheinend werden Cocktails dieser Art an Junkies oder an Dealer verkauft, die gesungen haben. Tommy war ein Dealer, aber kein Informant, sagt Tony. Aber ich weiß nicht, es ist einfach nicht richtig, daß Tommy so stirbt. Das hat etwas Unheimliches.«
»Na, du bist Journalistin, oder? Finde es heraus.«
»Einfach so? Ich habe seit über zwei Jahren kein Wort im Zorn mehr geschrieben.«
Keith warf mir einen Blick zu, der anzudeuten schien, daß ich mich vor der Arbeit drückte. »Na, du weißt doch, was man so sagt: Es ist wie das Fahrradfahren. Wenn man es einmal gelernt hat...«
Ich nickte. »...vergißt man es nicht mehr. Aber so sehr plagt es mich nun auch wieder nicht.«
»Glaube ich nicht. Du bist neugierig. Warum hast du die Kassetten gekauft? Warum bist du wirklich mit unserem alten Tape zu diesem Typen gegangen? Des Geldes wegen? Das glaube ich auch nicht. Vielleicht hast du ein Spielchen gespielt, aber du wolltest der Sache auch auf den Grund gehen, nicht wahr?«
Keith drückte seine Zigarette aus und strich sich den Pony aus dem Gesicht. Er sah aus wie ein Junge — ein Sechstkläßler, der clever und weiterfahren war, aber immer noch gern Konservendosen die Straße entlangkickte. Er merkte, daß ich ihn anschaute, und lächelte, bevor er sich umdrehte und die Rechnung verlangte. Er legte mir die Hand auf den Arm, als ich nach meiner Tasche griff. »Mr. City zahlt.«
»Danke, Mr. City.«
»Sag David zu mir«, sagte er. »Bitte.«
Wir küßten uns zum Abschied auf der nassen Straße, ein sanfter Kuß auf den Mund. Der Geruch von Regen und Motoröl lag in der Luft. Es war kalt, aber Keiths Atem war warm. Es kribbelte, und ich war überrascht.
»Ja, dann...«, sagte ich und wich zurück. »Ich muß los. War nett, der Lunch. Danke.«
»Moment«, sagte er und hielt meinen Arm fest. »Mir hat’s gefallen. Ich möchte es noch mal tun.«
Das wollte ich auch, und nach so langer Zeit schien es keine schlechte Idee zu sein, aber ich hatte mir selbst versprochen, besser aufzupassen.
»Du mußt arbeiten... und ich ebenfalls.« Ich wandte mich ab und ging flott die Greek Street hinauf in Richtung U-Bahn Tottenham Court Road. Als ich mich umdrehte, stand er noch vor dem Restaurant, die Hände in den Taschen, und die Haare fielen ihm wieder ins Gesicht. »Aber du rufst mich an, ja?« sagte ich.
Er streckte den Daumen hoch und winkte, und das tat ich auch, bevor ich mich wieder umdrehte und leichtfüßig über die glänzenden Pfützen auf dem Gehweg sprang. In der U-Bahn-Station kaufte ich mir einen Evening Standard und ein Music Magazine. In letzter Zeit brauchte Carlas Name nur in einer Schlagzeile zu erscheinen und schon wühlte ich in meiner Tasche nach Kleingeld.
In der Story, die ich las, ging es um den reibungslosen Vertrieb der Weihnachtsproduktion der Ghea durch eine der größten Plattenfirmen, die diesen Geschäftsbereich für eine ganze Reihe von Independents erledigte. Der Einzelhandel, hieß es, sei sehr zufrieden mit dem Strom von Singles, LPs, Kassetten und CDs in den Läden. Trotz der unerwartet hohen Nachfrage nach Seethru und The Unreleased Johnny Waits hatten die Vertriebsunternehmen nicht unter Verzögerungen oder Lieferengpässen seitens der Hersteller zu leiden.
»Na, dem Himmel sei Dank dafür«, brummte ich, legte die Zeitschrift beiseite und griff nach der Zeitung. Ich blätterte Keiths Seite auf, um festzustellen, wo ich in London Town wohnen, essen, trinken und tanzen oder, besser gesagt, wo ich bei all dem gesehen werden sollte. Ein paar Stationen weiter kam ich zum hinteren Teil der Zeitung und fand unter »Nach Redaktionsschluß« eine kleine Meldung, die in der Spätausgabe, wie ich wußte, ausführlicher erscheinen würde. Sie lautete:
Ein Musikpirat, der Carla Blues Tapes vorzeitig auf den Markt gebracht hatte, wurde unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden. — Mr. City.
Ich ließ mich gegen die Lehne fallen und starrte ins Leere. Keith arbeitete schnell, das mußte ich ihm lassen — und ich? Ich verlor allmählich den Faden.
»Du Mistkerl!«
»Wie meinst du das?« fragte Keith ganz unschuldig.
»Das war meine Story.«
»Nein, war es nicht. Du hast nichts gemacht. Ich hab’s
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