Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber tot als vergessen

Lieber tot als vergessen

Titel: Lieber tot als vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
Vom Netzwerk:
ausgesehen. Ein bißchen dünn, aber was hieß das schon? Das war ich auch. Ich konnte nicht begreifen, weshalb ein Dealer seinen Kunden umbringen sollte. Ausrauben vielleicht, aber umbringen? Inwiefern war das gut fürs Geschäft? Vielleicht hatte er jemandem auf die Zehen getreten. Das tat er wohl oft. Seinem Bruder. Der Ghea.
    Ich wandte mich vom Fenster ab, zog meinen Bademantel aus und warf ihn aufs Bett. Ich zog ein paar Schubladen auf und machte sie wieder zu, öffnete die Kleiderschranktür und schob die Drahtbügel beiseite wie Perlen auf einem Abakus. Dann drehte ich mich um, ging zur Tür hinaus und zum Telefon. Die Neugier schob mich voran. Wenn ich Tony nicht anriefe, würde mir das Mittagessen nicht schmecken. Nach dem bangen Gefühl in der Magengrube zu urteilen, würde es mir sowieso nicht schmecken. Nackt bis auf ein Dallas-Cowboys-T-Shirt rief ich ihn an.
    »Hallo, Tony. Georgina. Ich habe gerade von Tommy gelesen. Es tut mir so leid.« Ich plapperte. Wieso redete ich so schnell?
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« Seine Stimme klang fest, hart, beherrscht.
    »Ich mache mir keine Sorgen. Ich habe gesagt, es tut mir leid.«
    »Das habe ich gehört.«
    Dann Schweigen. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich wußte nicht, was er meinte. Sorgen? Wieso sich Sorgen machen, wenn man in Panik geraten könnte? Meine Stimme versteckte sich hinten im Hals.
    Er sprach als erster. »Sie kennen Tommys Wohnung?«
    »Äh, nein... Doch! 37A Abbey Road.«
    »Nein, dann kennen Sie sie nicht. Die haben sich geirrt. Tommy wohnt in Nummer 39A.«
    Er wollte mich auf die Probe stellen. Warum wollte er mich auf die Probe stellen? Der Zeitungsbericht und somit auch der Polizeibericht über Tommy Vittorio Levis Tod war nicht zur Zufriedenheit seines Bruders ausgefallen, darum. Tony Levi tappte auf leisen Sohlen auf der warmen Fährte der Mörder entlang.
    Die nächste Frage wagte ich kaum zu stellen; aber ich tat es doch. »Tony, war Tommy ein Junkie?«
    »Er war ein Dealer.«
    »Ich — ich... das wußte ich nicht. In der Zeitung stand...«
    »Er war kein Informant.«
    »Nein, das stand da nicht«, sagte ich sanft. »Entschuldigung, aber warum sagen Sie das?«
    Wieder Schweigen. Ich fühlte mich plötzlich sehr nackt unter meinem kurzen T-Shirt, als hätte er mich mit harten, kritischen, unnachgiebigen Augen angestarrt.
    »Ajax. Scheuerpulver. Sie geben es Informanten, verschneiden den Stoff damit statt mit Talkum oder Baby-Abführmittel.«
    »Was?«
    »Den Stoff. Heroin.«
    »Das weiß ich. Aber alles andere verstehe ich nicht.«
    »Kein Mensch verkauft reines Heroin. Es wird immer verschnitten — vermischt mit etwas, das ähnlich aussieht. Es wird immer wieder verdünnt, von jedem Dealer in der Vertriebskette. Der Junkie hat vielleicht noch zweiprozentigen Stoff in seinem Tütchen. Und einer, der singt, ein Informant, bekommt mit Scheuermittel verschnittenen Stoff verpaßt. Das ist tödlich. Spitzel kann niemand ausstehen.«
    »O mein Gott!«
    »Yeah... der weiß nicht mal die Hälfte davon.«
    Ja, was konnte Gott schon wissen, was Tony Levi nicht wußte. Ich zog hinten an meinem T-Shirt, um meine Beine ein bißchen zu bedecken.
    »Ich — ich kann nicht glauben, daß so was passiert sein soll. Hat die Polizei denn schon eine Ahnung...«
    »Glaube ich nicht. Übrigens, die Ware ist fertig. Wir bringen sie jetzt raus, aber nicht in Camden. Es wimmelt da von Bullen.«
    »Was halten Sie von dem Band?«
    »Scheiße. Aber was weiß ich schon. Meine Vorstellung von einem guten Song ist >Satisfaction<. Aber den haben die meisten Kids heute noch nie gehört.«
    Als ich aufgelegt hatte, versuchte ich, mich an seine Stimme zu erinnern. Sie war tough und tonlos. Da war keine emotionale Schwankung gewesen, als er von seinem Bruder gesprochen hatte. Man mag mich sentimental nennen, aber für mich ist der Tod zumindest bestürzend. Tony hatte geklungen, als werde er Tommys Mörder bestrafen, aber nicht wegen Tommys Tod, sondern weil er ihn als Kränkung gegen sich selbst empfand. Ich dachte darüber nach, während ich in meinem gegrillten Ziegenkäse in einem Nest aus krauser Endivie herumstocherte. Keith schenkte mir von dem kalten Weißwein der Hausmarke ein und redete unaufhörlich.
    »Was hältst du von der Gegend heute? Ich meine, schau sie dir an. In Soho kannst du keinen billigen Zug durch die Clubs mehr machen. Guck dich nur um. Wo ist der Schmuddel? Es ist zu edel — ist ja teurer als Paris, Herrgott noch mal.

Weitere Kostenlose Bücher