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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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einmal, dass auf einigen immer noch Petits Fours liegen, die nun zerquetscht werden.
    Ohne Eile und ohne Zögern durchmisst er das große Wohnzimmer, dann das Esszimmer und geht durch die Schwingtür in die Küche.
    Die Pianistin sitzt reglos da, die Hände auf den Tasten, und der Cellospieler hat auch aufgehört. Die Geigerin spielt allein weiter. Ich habe bis heute keine Ahnung, ob das der Komposition entsprach oder ob sie sich absichtlich über den Auftritt hinwegsetzte. Soweit ich mich erinnern kann, schaute sie überhaupt nicht auf, nahm keinerlei Notiz von diesem finsteren Mann. Ihr großes weißes Haupt, seinem ähnlich, aber verwitterter, zittert ein wenig, hat aber vielleicht schon die ganze Zeit über gezittert.
    Er kommt zurück, mit einem Teller voller Bohnen mit Schweinefleisch. Er muss einfach eine Konservendose aufgemacht und den Inhalt kalt auf den Teller gekippt haben. Er hat sich nicht die Zeit genommen, den Wintermantel auszuziehen. Und immer noch ohne jemanden anzuschauen, aber unter großem Geklapper der Gabel isst er, als sei er völlig allein und hungrig. Man könnte meinen, beim Abendessen der Jahresversammlung seien nur leere Teller serviert worden.
    Ich habe ihn noch nie so essen sehen. Seine Tischmanieren sind sonst immer herrisch, aber ordentlich gewesen.
    Das Musikstück, das seine Schwester spielt, geht zu Ende, wahrscheinlich zu seiner richtigen Zeit. Ein wenig vor den Bohnen mit Schweinefleisch. Die Nachbarn haben sich in die Diele verfügt, ihre Wintersachen übergeworfen und den Kopf nur einmal kurz hereingesteckt, um sich überschwenglich zu bedanken, inmitten ihrer Panik, so schnell wie möglich wegzukommen.
    Und jetzt brechen die Musiker ebenfalls auf, wenn auch nicht so überhastet. Instrumente müssen schließlich ordentlich eingepackt werden; man wirft sie nicht einfach in ihren Kasten. Die Musiker machen es wie immer, gehen methodisch zu Werk, und verschwinden dann auch. Ich kann mich nicht an das erinnern, was gesagt wurde, auch nicht daran, ob Tante Dawn sich genug zusammenriss, um ihnen zu danken oder sie zur Tür zu begleiten. Ich kann nicht auf sie achten, denn Onkel Jasper ist dazu übergegangen, sehr laut zu reden, und ich bin diejenige, an die er sich wendet. Ich meine mich zu erinnern, dass die Geigerin ihm einen Blick zuwirft, gerade als er zu sprechen anfängt. Es ist kein zorniger Blick, wie man erwarten könnte, oder auch nur ein erstaunter. Sie ist einfach entsetzlich müde, ihr Gesicht bleicher, als man es sich vorstellen kann.
    »Nun sage mir mal«, sagt mein Onkel, sich ausschließlich an mich wendend, als sei niemand sonst da, »sage mir mal, haben deine Eltern etwas übrig für so was? Ich meine, für solche Musik? Für Konzerte und so was? Bezahlen sie je Geld dafür, stundenlang dazusitzen, bis sie Schwielen am Hintern haben, und sich etwas anzuhören, was sie einen halben Tag später nicht mehr wiedererkennen würden? Bezahlen sie Geld dafür, einfach um einem Betrug auf den Leim zu gehen? Haben sie das deines Wissens je getan?«
    Ich sagte nein, und das entsprach der Wahrheit. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass sie je ein Konzert besucht hatten, obwohl sie ganz allgemein Konzerte guthießen.
    »Siehst du? Sie sind zu vernünftig, deine Eltern. Zu vernünftig, um sich diesen Leuten anzuschließen, die tun und machen und klatschen und sich aufführen, als wär’s das größte Weltwunder. Du weißt, welche Leute ich meine? Sie lügen. Ein Haufen Pferdemist. Alles in der Hoffnung, vornehm zu wirken. Oder sie geben wohl eher der Hoffnung ihrer Frauen nach, vornehm zu wirken. Denk immer daran, wenn du in die Welt hinausgehst. Ja?«
    Ich versprach es. Das, was er sagte, überraschte mich eigentlich nicht. Viele Menschen dachten so. Besonders Männer. Es gab damals so einige Dinge, die Männer hassten. Oder mit denen sie nichts anfangen konnten, wie sie sagten. Und das stimmte. Sie konnten nichts damit anfangen, also hassten sie es. Vielleicht ging es ihnen so wie mir mit Algebra – ich bezweifelte stark, je etwas damit anfangen zu können. Aber ich ging nicht so weit, zu verlangen, sie sollte deswegen vom Antlitz der Erde getilgt werden.
     
     
    Als ich am Morgen hinunterging, hatte Onkel Jasper das Haus schon verlassen. Bernice wusch in der Küche das Geschirr ab, und Tante Dawn stellte die Kristallgläser in die Vitrine. Sie lächelte mir zu, aber ihre Hände zitterten ein wenig, so dass die Gläser warnend klirrten.
    »Das Heim eines Mannes ist

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