Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
seine Feste«, sagte sie.
Mir fiel ein Wortspiel ein. »Feste muss man feiern, wie sie fallen«, sagte ich, um sie aufzuheitern.
Sie lächelte wieder, aber ich glaube nicht, dass sie überhaupt begriff, was ich sagte.
»Wenn du deiner Mutter schreibst, nach Ghana …«, sagte sie, »wenn du ihr schreibst, fände ich es besser, wenn du nichts … ich meine, ich frage mich, ob du etwas von der kleinen Verstimmung hier gestern Abend erwähnen solltest. Wo sie doch so viel echte Not und hungernde Menschen und dergleichen sieht. Ich meine, es würde ihr ein bisschen kleinkariert und egozentrisch vorkommen.«
Ich verstand. Ich hielt es nicht für notwendig, ihr zu sagen, dass es bislang keine Berichte von einer Hungersnot in Ghana gab.
Ich hatte meinen Eltern ohnehin nur im ersten Monat lange Briefe mit Klagen und sarkastischen Schilderungen geschrieben. Inzwischen war alles zu kompliziert geworden, um es zu erklären.
Nach unserem Gespräch über Musik behandelte Onkel Jasper mich mit mehr Achtung. Er hörte sich meine Ansichten über ein staatliches Gesundheitssystem an, als wären es meine eigenen und nicht die von meinen Eltern übernommenen. Einmal sagte er, es sei ein Vergnügen, am Esstisch mit einer intelligenten Person reden zu können. Was meine Tante bekräftigte. Sie tat das nur, um nett zu sein, und als mein Onkel auf gewisse Art lachte, wurde sie rot. Das Leben war schwer für sie, aber am Valentinstag wurde ihr verziehen, mit einem Ohrgehänge aus Blutjaspis, das sie lächelnd entgegennahm, um sich sofort abzuwenden und ein paar Tränen der Erleichterung zu vergießen.
Monas wachsbleiches Gesicht, ihre scharf hervortretenden, von dem Silberkleid nicht völlig kaschierten Knochen mögen Anzeichen einer Krankheit gewesen sein. In jenem Frühling berichtete die Lokalzeitung von ihrem Tod, erwähnte auch das Konzert im Rathaussaal. Ein Nachruf einer Zeitung aus Toronto wurde abgedruckt, mit einem kurzen Abriss ihrer Karriere, die offenbar zwar nicht brillant gewesen war, aber für ihren Lebensunterhalt gereicht hatte. Onkel Jasper drückte sein Erstaunen aus – nicht über ihren Tod, sondern über die Tatsache, dass sie nicht in Toronto beerdigt werden sollte. Die Trauerfeier und die Beisetzung sollten in der Hosianna-Kirche stattfinden, nur wenige Meilen nördlich von seiner Stadt, draußen auf dem Land. Das war die anglikanische Familienkirche gewesen, als Onkel Jasper und Mona/Maud klein waren. Onkel Jasper und Tante Dawn gingen jetzt in die vereinigte Kirche, wie die meisten wohlhabenden Leute in der Stadt. Die Anhänger der vereinigten Kirche waren fest in ihrem Glauben, fanden aber nicht, dass man jeden Sonntag erscheinen musste, und glaubten auch nicht, dass Gott etwas gegen einen ordentlichen Schluck hin und wieder einzuwenden hatte. (Bernice, das Dienstmädchen, besuchte eine andere Kirche und spielte dort Orgel. Diese Gemeinde war klein und seltsam – die Mitglieder hinterließen Pamphlete auf Türschwellen überall in der Stadt, mit Listen von Menschen, die in die Hölle kommen würden. Keine ortsansässigen, sondern allseits bekannte wie Pierre Trudeau.)
»In der Hosianna-Kirche werden gar keine Gottesdienste mehr abgehalten«, sagte Onkel Jasper. »Was soll das, sie hier hochzubringen? Womöglich ist das sogar verboten.«
Aber es stellte sich heraus, dass die Kirche immer noch genutzt wurde. Leute, die sie in ihrer Jugend besucht hatten, hielten dort gerne Trauerfeiern ab, und manchmal ließen ihre Kinder sich dort trauen. Sie war dank eines beträchtlichen Vermächtnisses gut instand gehalten, mit modernisierter Heizung.
Tante Dawn und ich fuhren in ihrem Auto hin. Onkel Jasper hatte bis zur letzten Minute zu tun.
Ich war noch nie auf einer Beerdigung gewesen. Meine Eltern waren nicht der Meinung, dass ein Kind eine solche Erfahrung machen musste, obwohl das in ihren Kreisen – so meine ich mich zu erinnern – als eine Feier des Lebens galt.
Tante Dawn war nicht schwarz gekleidet, wie ich erwartet hatte. Sie trug ein Kostüm in dezentem Lila und eine Persianerjacke mit passender Pillbox-Kappe. Sie sah sehr hübsch aus und schien bester Laune zu sein, die sie kaum unterdrücken konnte.
Ein Dorn war entfernt worden. Ein Dorn war aus Onkel Jaspers Fleisch entfernt worden, und das machte sie einfach glücklich.
Einige meiner Vorstellungen hatten sich in der Zeit, die ich bei meiner Tante und meinem Onkel verbrachte, geändert. Zum Beispiel stand ich Menschen wie
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