LIEBES LEBEN
sie immer einen absolut anständigen Kerl, der seinen Lebensunterhalt selbst verdient und nicht bei seinen Eltern lebt ... und ruinieren ihn, indem sie ihm die Wahl lassen. Meine Theorie ist: Alle Männer denken, sie hätten ein Recht auf einen Harem. Es ist wie eine erbliche Fehlbildung in der männlichen Rasse, die sich von Generation zu Generation fortpflanzt und dabei immer stärker wird. Und so nimmt unsere Fernsehnation diesen ahnungslosen ledigen Mann, zerrt ihn vor die Kamera und umgibt ihn mit wunderschönen, durchgeknallten Tussis, die um seine Zuneigung buhlen. Ziemlich gehässig, könnte man sagen, aber ist das nicht gerade der Witz an der Sache?
Besagter Junggeselle sieht seine Träume verwirklicht, aber wir lustvollen Beobachter sagen ihm, er müsse sich für eine entscheiden. Hier kann ich Meister Yoda hören: »Nur eine du wählen musst.« Er wird natürlich eine wählen - das war ja der Sinn und Zweck, weshalb die Frauen sechs Wochen um ihn herumgetanzt sind - aber es ist zu spät. In seinem kleinen Eierkopf denkt er jetzt, dass er alle verdient hat, und wird nie wieder fähig sein, fest bei einer zu bleiben. Er will sie alle zurückhaben, weil er nicht begriffen hat, dass Harems in den USA ein für alle Mal verboten sind - außer in Reality Shows im Fernsehen. Und wieder ist ein anständiger Mann verdorben.
Aber ich schweife ab. Seth ist da, und wir haben uns nichts zu sagen. Irgendetwas in mir sagt mir, dass er meine Theorien über Fernseh-Partnerschaften nicht sehr schätzen würde.
Schließlich kommt Seth herein, hält aber einen Sicherheitsabstand aus Angst, ich könnte ihn überfallen. Und zu meiner Scham muss ich gestehen, dass mir der Gedanke tatsächlich kommt. Eine Sekunde lang wünsche ich mir, wir könnten Arin und die Verabredung bei Fresh Choice einfach ad acta legen und wieder zu unserer Freundschaft von früher zurückkehren. Damals haben wir die Spannung zwischen uns ignoriert, und alles war in bester Ordnung.
»Hast du schon alles?«, fragt Seth.
»Ich habe noch niemand angerufen, bei dem ich bleiben könnte. Ich glaube, ich gehe für heute einfach ins Hotel, weil ich morgen wahrscheinlich sowieso wieder nach Taiwan muss.«
Er schaut mich an. In einer normalen Unterhaltung müsste jetzt eine Antwort kommen. Sollte ich ihm das sagen?
»Du bist in meinem Bett herzlich willkommen«, sagt er schließlich.
Ich starre ihn nur mit weit offenem Mund an, als hätte ich gerade einen Heiratsantrag von einem Ingenieur bekommen. Fühlt sich das so an?
»Ich schlafe auf dem Sofa«, fügt er hinzu.
Ich fange an zu kichern. Ich halte mir den Mund zu, um das Lachen zu unterdrücken, aber es hört nicht auf, bis ich mir schließlich Luft in mein rotes Gesicht wedeln muss. »Entschuldige, entschuldige. Das ist wirklich lieb von dir.«
Seths Gesicht verfinstert sich. »Ist dir meine Wohnung so zuwider?«
Ich muss schlucken, und das ausgelassene Lachen verschwindet. Ich schaue geradewegs in diese kristallblauen Augen und bringe kaum noch ein Wort heraus. »Ganz im Gegenteil«, flüstere ich. Ich kann ihn nicht ansehen. Ich kann nicht sagen, was ich empfinde; dass ich mich nicht einmal mehr daran erinnern kann, wie Mr. Kevin Dingsbums aussieht; dass ich mich nur noch an unsere gemeinsame Zeit erinnern kann und daran, dass Seth immer für mich da gewesen ist. Diese Anziehungskraft lässt nicht nach.
»Im Gegenteil?« Er steht jetzt direkt vor mir, und ich überlege, dass es so einfach wäre, ihn zu küssen. Ich könnte seine Lippen einfach mit meinen berühren. Ich schließe die Augen und stelle es mir vor, aber ich bringe es nicht fertig.
Ich wende mich ab, damit er nicht wieder sieht, was in mir vorgeht. »Wie wär’s mit dem Hyatt, ein Stück die Straße hinauf? Ich hole meine Sachen.«
Seth tritt zur Seite, legt die Hände auf den Rücken und entlässt mich aus seinem Bann. Er betrachtet meine Wohnung, ein bisschen wie Prinz Charles, wenn er einen Park einweiht. »Lass dir nur Zeit.«
Ich lasse die Schultern hängen. Seth ist einfach nicht normal. Er ist überdurchschnittlich intelligent und viel zu geduldig, aber was Beziehungen angeht, bewegt er sich etwas langsam. Irgendwie zurückgeblieben.
»Möchtest du etwas essen?«, frage ich ihn.
Er verzieht das Gesicht. »Nein danke. Die Rattengeschichte hat mich ein bisschen nervös gemacht.« Er schaudert ein wenig.
»Stimmt. Die Ratten. Ich selbst habe keine Ratten hier. Der Polizist meinte, das ganze Gebäude ist voll davon.
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