LIEBES LEBEN
noch keine Zeit zu suchen.« Ich zucke mit den Achseln und seufze erschöpft.
»Sie haben nur noch zwei Wochen, Fräulein.« Ihr Gesicht legt sich sorgenvoll in Falten, aber offensichtlich nicht wegen mir. Wie erkläre ich ihr, dass ich in Taiwan war? Und dass ich morgen wieder dorthin muss und dass ein Aufschub von einem Monat mir das Leben retten würde. Tiefer Seufzer. Interessiert sie nicht. Sie ist wahrscheinlich so reich wie Abraham, weil sie diese Blocks schon seit ewigen Zeiten besitzt.
Sie versuchen sich hinter irgendeinem Furcht einflößenden Hauswirt zu verstecken, aber ich habe es einmal überprüft, als ich wegen einer Patentsache hier in der Stadt war. Ihnen gehört dieser Block und noch vier andere. Beim Anblick des orangefarbenen Veloursteppichs oder der vor Rauch und Alter braunen Vorhänge käme man niemals darauf. Aber meine Wohnung ist nett. Es scheint sie tatsächlich zu interessieren, was ihren Mietern gefällt. Nur bei sich selbst haben sie sich darüber nie Gedanken gemacht.
Bevor ich den Mut aufbringen kann, um eine Woche Aufschub zu bitten, kommt ein Polizeiauto mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn. Ich schaue vorsichtig durch Mrs. Mangers Vorhang und sehe, wie ein Polizist zu meiner Wohnung hinaufgeht. Ich bete, dass ihm nichts passiert. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich mein Notebook im Schlafzimmer habe liegen lassen, wo es doch meine einzige Verbindung zur Außenwelt ist.
Keine fünf Minuten später klopft der Polizist an die Tür. Ich mache auf, und er lacht. Er muss sogar um seine Fassung ringen, bevor er sprechen kann.
»Ist das Ihre Wohnung?« Seine breiten Schultern zucken noch, und er streicht sich mit Daumen und Zeigefinger über seinen schwarzen Schnauzbart.
Ich nicke. »Ja, es ist meine Wohnung.«
Er hält eine zerfranste Telefonleitung hoch.
»Sie haben Ratten, Ma’am.« Okay, megapeinlich. Kann man sich in so einer Situation irgendwie rechtfertigen?
»Ratten!«, sagt Mrs. Manger und schaut mich an, als gehöre ich in den Abfallcontainer hinterm Haus.
»Das Gebäude ist verseucht. Ich konnte sie in der Wand hinter Ihrem Bett hören«, meint der Polizist und schaut dabei mit einem Grinsen zu Mrs. Manger.
Ha, ätsch! Aber iiih. Für den Bruchteil einer Sekunde fühle ich mich gut, weil es nicht meine Schuld ist. Aber dann dämmert es mir, dass ich mit Ungeziefer geschlafen habe, und das gute Gefühl ist sofort wieder verschwunden.
Ich finde das so ekelhaft, dass es nicht mehr lustig ist. Ich fühle mich, als krabbelten mir Tausende von Ameisen den Rücken hinunter. Auf gar keinen Fall werde ich noch zwei Wochen hierbleiben. Ich mache mir Gedanken, wie ich heute Abend noch das Nötigste aus meiner Wohnung bekomme. Mrs. Manger geht aus dem Zimmer und macht die Schlafzimmertür hinter sich zu. Ich schätze mal, das erklärt ihre Ahnungslosigkeit.
»Haben Sie denn eine Ratte gesehen?«, frage ich den Polizisten.
»Nur den Schwanz.« Er verzieht sein männliches Gesicht. »Sie sind groß, Ma’am.«
Das muss ich mir nun wirklich nicht auch noch anhören. Ich werde heute Nacht keine Auge zumachen. Vielleicht auch niemals mehr. »Vielen Dank, Herr Wachtmeister. Es tut mir leid, dass ich Sie umsonst bemüht habe.«
Er schaut zu Mrs. Mangers Schlafzimmertür. »Es war nicht ganz umsonst. Sie haben es jetzt polizeilich bestätigt. Verlangen Sie die letzte Monatsmiete zurück, und verschwinden Sie von hier.« Er tippt sich an seinen Hut und geht vom Licht am Swimmingpool umleuchtet davon, wie ein Engel mit Heiligenschein.
Ich rufe den einzigen Mann an, von dem ich weiß, dass er mir um neun Uhr sonntagabends helfen wird. Der heldenhafte Ritter unserer Single-Gruppe: Seth. Zumindest weiß ich, dass er zu Hause sein wird. Es ist Videoabend.
Er geht beim zweiten Mal Klingeln dran. »Hallo?«
»Seth, hier ist Ashley. Ich brauche deine Hilfe.« Augenblicklich komme ich mir dumm dabei vor, einen Mann darum zu bitten, mir zur Hilfe zu kommen. So viel Bildung, so eine steile Karriere, und jetzt bringt mich ein einziges Vieh zu Fall. »Weißt du was? Ich sollte dich eigentlich gar nicht damit belästigen. Vergiss es.«
»Ashley, was ist los? Du musst es mir zumindest verraten, sonst mache ich mir die ganze Nacht Sorgen um dich.«
Ich hole tief Luft und versuche, allen Mut zusammenzunehmen, um es laut zu sagen. »In meiner Wohnung sind Ratten. Und es gruselt mich zu sehr, um dort zu schlafen, und ich traue mich erst bei Tageslicht hineinzugehen und meine Sachen zu holen.
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