LIEBES LEBEN
ihrem ständigen Begleiter, dem Klemmbrett mit Liste. Aber sie hat drei Schlafzimmer, ist nicht mein gefährlicher Supermann und nicht meine Mutter. Also ist es eigentlich keine schlechte Idee. Ab morgen werde ich noch oft genug in Hotelzimmern schlafen.
»Meinst du, es würde ihr etwas ausmachen?«
»Warum sollte es? Es ist ja nur für eine Nacht.«
»Ich rufe sie an.« Ich wähle ihre Nummer, und sie antwortet, als sei sie im Büro. »Hallo Kay, hier ist Ashley. Hör mal, ich wollte dich fragen, ob ich heute nacht bei dir schlafen könnte. Es scheint, dass es in meiner Wohnung ein Problem mit Ungeziefer gibt, und ich werde morgen nach Taiwan fliegen.«
Sie stimmt zu, wenn auch nicht bereitwillig. Aber im Moment verlange ich keine begeisterte Zustimmung. Ich würde ja Brea anrufen, aber irgendwie befürchte ich, dass ich sie und John bei einem Intermezzo mit dem schwarzen Schnürteil erwischen und dann vor lauter Sorge kein Auge zumachen würde.
»Sie sagt, es geht in Ordnung«, flüstere ich Seth zu. »Danke, dass du daran gedacht hast.«
Seth steht immer noch, und ich weiß nicht, ob er sich wegen mir oder wegen den Ratten unwohlfühlt. Ich ertappe ihn dabei, wie er zu mir sieht, aber ich weiß nicht, woran er gerade denkt.
»Das spart dir das Geld fürs Hotel«, meint Seth.
»Ja, wie gut.«
Seth nimmt meinen Koffer. Schon wieder ein Kavaliersakt! Als er meinen Schlüssel nimmt, berührt er leicht meine Hand und schaut mich eindringlich an. Alles in mir möchte ihn küssen. Nicht weil er mich gerettet hat oder weil er sich um all diesen Krempel kümmern wird, sondern weil ich mich vollkommen ausgefüllt fühle bei ihm. In ihm brennt ein kontrolliertes Feuer, wie ein Lagerfeuer, das schon lange brennt und eine heiße Glut hat, nicht wie das Feuerwerk, das ich sehe, wenn ich mit Kevin zusammen bin. Na gut, jetzt kommt meine pyromanische Veranlagung zum Vorschein. Sehen Sie es mir nach.
Seth nimmt meinen Koffer und entfernt sich von mir, aber ich sehe noch einmal in seine Augen. Er spürt die Glut genauso, auch wenn er nicht in die Kohlen bläst.
»Möchtest du nicht erst noch etwas essen?«, frage ich.
Er schaut mich an, und ich sehe, wie er schlucken muss. »Nein, ich sollte besser nach Hause gehen.« Ich weiß genau, dass er nicht nach Hause will. Ich erkenne es an seinem erzwungenen Gesichtsausdruck. Aber er wird nach Hause gehen. Wenn ich versuche, seine Entschlossenheit zu brechen, wird er sich nur noch mehr dagegen stemmen. Es ist vorbei. Was auch immer zwischen uns gewesen sein mag, er will sich nicht damit auseinandersetzen. Warum bekomme ich das nicht endlich in meinen Dickschädel hinein?
Seth gehört also endgültig der Vergangenheit an.
Ich seufze erleichtert in dem Wissen, dass ich nach Taiwan fliegen kann, ohne dass Mrs. Manger meine Sachen an den Meistbietenden verkaufen wird, während ich weg bin. Der Firmenwagen wird mich morgen früh abholen. Ich muss nur anrufen.
Als wir unten sind, sehe ich, wie Mrs. Manger hinter dem Vorhang hervorschaut, aber sie sagt nichts zu mir. Drei Jahre habe ich in diesem Haus gewohnt, und jetzt ist alles von einem Augenblick zum nächsten vorbei. Aber mir bleibt keine Zeit zu trauern. Nein, wirklich nicht, denn Seth ist mir etwa vier Stufen voraus und stürmt davon, nach Hause zu seinem Film, wie ein Pferd, das es in den heimatlichen Stall zieht. Ingenieure haben keine Zeit für Sentimentalität.
»Würde es dir etwas ausmachen, noch einen Augenblick zu warten?«
Er bleibt wie angewurzelt stehen. »Worauf?«
»Ich möchte mich von dem Haus verabschieden. Es war eine gute Zeit hier.«
Er zuckt mit den Schultern und geht mit meinem Gepäck voraus. Ich befürchte, dass ich nicht viel Zeit habe, und so winke ich Mrs. Manger zu, die wütend den Vorhang zuzieht.
Seth steht neben seinem zerbeulten BMW und hält die Tür auf.
Die Beifahrertür!
»Es ist in Ordnung, wenn du mit dem Arzt befreundet bist. Arin will ihn nicht mehr.«
»Meinst du, das ist ein ausreichender Grund, mit ihm befreundet zu sein?«
»Ich weiß, dass du niemandem wehtun willst, Ashley. Ich wollte dir nur sagen, dass es Arin nichts ausmachen wird, wenn du dich mit ihrem Exfreund triffst.«
Oh mein Gott, am liebsten würde ich ihn fragen, ob es ihm etwas ausmacht, aber meine Zunge rührt sich nicht. Es hängt zu viel von seiner Antwort ab, und damit werde ich nicht fertig. Würdest du bitte machen, dass er den ersten Schritt tut, wenn hier etwas geschehen soll?
Er redet weiter.
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