Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
ihre cremefarbene Bluse gegangen, und sie hat
     an sich heruntergeschaut und gesagt: |266| Ich kann es mir leisten, mich zu verletzen. Ich kann es mir leisten, eine teure Seidenbluse zu ruinieren. Ich kann es mir
     leisten, mir andere Freundinnen auszusuchen … Eine endlose Litanei, sie hat lange aufgezählt, was sie sich alles leisten könne,
     und ich dachte nur, mein Gott, was ist so falsch daran, einen Knopf anzunähen. Das war unsere letzte Begegnung, zum Abschied
     hat sie mir hinterhergerufen, daß ich dafür teuer bezahlen würde. Und dann … das.
    Liebst du ihn? sagte ich.
    Nein, ich hatte mich nur an ihn gewöhnt.
    Wie hast du es erfahren?
    Ich wußte es schon die ganze Zeit. Wir Frauen … Frauen wie ich spüren es, wenn sich der Mann eine andere Geliebte hält. Ich
     habe ihn zur Rede gestellt, und das einzige, was er sagte, war: Ich muß sie nicht beschenken, ich bin kein Freier.
    Oh, sagte ich.
    Nicht wahr? sagte sie, sie macht es bei ihm umsonst, und er ist stolz darauf.
     
    Die halbe Stunde war vergangen, die Schwester entließ uns, wie Jarmila mir übersetzte, mit den Worten, es wäre keine Schande,
     Blut in die allgemeine Zirkulation zu investieren, es sprach also mittlerweile auch das Krankenpersonal im Jargon der Vorstandsvorsitzenden,
     ich hatte meine Freunde auch dabei ertappt, wie sie über abwesende Menschen sprachen, als wollten sie ihnen ein Gutachten
     zur Kriminalprognose ausstellen. Das Neue ersetzte das Alte, überall. Das Neue entstand, weil man das Alte in Verruf brachte,
     weil man den unverrückbaren Menschen nachsagte, sie hingen alter Mode an. Das Neue war der gestrigen Kleider beraubt, es enthüllte
     sich, überall. Pappe, Plastik, Palaver. Man mußte dem Licht ausweichen, weil man sonst schäbig wurde.
    |267| Jarmila riß mich aus meinen Gedanken, sie schlug vor, spazierenzugehen, irgendwohin, so lange wie möglich. Doch wir blieben
     erst einmal sitzen und schauten dem Likörpralinenmann zu, wie er die runden Terrassen des Zimmerbrunnens mit Ziersteinen bestückte,
     seine Finger, die den Stein hielten, tauchten ins Wasser, dann zog er die nasse Hand zurück und ließ sie in der prallen Hosentasche
     verschwinden, Stein für Stein und Stein an Stein, er war beglückt, und es war wie ein Ritus des Dankes, Stein für Stein und
     Stein an Stein, der Mann ließ sich von den Blicken nicht stören, wir alle im Raum, die wir Blut investiert hatten, sahen ihm
     zu, und es entstand eine Ruhe, eine herrliche Schönheit. In diesem Moment ergriff Jarmila meine Hand und legte sie auf ihre
     Brust, ich spürte ihren herrlichen schönen Herzschlag, keiner, der sich an dieser intimen Geste störte, keiner, der uns aufforderte,
     eine Unverschämtheit zu unterlassen. Stein für Stein und Stein an Stein. Ihr Herzblut.
    Jetzt war es Zeit, aufzustehen. Wir nahmen das Geld entgegen, verließen das Krankenhaus, gingen zu Fuß zur Straßenbahnhaltestelle,
     stiegen ein, stiegen aus, an der Metrostation Namesti Miru ging es mit der steilen Rolltreppe tief in den Erdstollen, und
     Jarmila erzählte, die Russen hätten die tiefen Schächte gebaut, damit das Volk bei Angriffen aus der Luft in diesen Schutzbunkern
     Zuflucht finden konnte. Doch die Russen hätten nicht mit dem Angriff der Natur vom Boden gerechnet, bei der letzten Überschwemmung
     stand die U-Bahnstation vollkommen unter Wasser. Wir fuhren bis zum Kleinseitner Platz, und wenig später schlenderten wir
     durch den Garten des Palais Wallenstein, hier marschierten die Bürger die Promenadenpfade entlang und bestaunten die Residenz
     eines Heerführers im Dreißigjährigen Krieg. Die Mächtigen bauen Prunkhäuser |268| , sterben dahin oder werden ermordet, und dann kommen wir, die Bürger, wir bezahlen für die Karte oder haben freien Eintritt,
     wir schauen uns ohne wirkliche Anteilnahme die Gartenanlagen, die Bronzeplastiken, die Fontänen, die Deckenfresken im Palast
     an, und weil das Leben eines jeden Mächtigen fast immer im Wahn endet, zucken wir mit den Schultern, wenn wir im Stadtführer
     lesen, daß der Adlige Wallenstein in Ungnade fiel, trotz seiner Siege und seiner guten Beziehungen, und wir wundern uns nicht
     über seine Exekution. Wir Bürger, dachte ich, sind kleine gefräßige Dachse, wir brummen und brummen, wir bringen die Herrschenden
     nicht zu Fall, wir jagen ihnen nur ein bißchen Angst ein.
    Ein Pfauenweibchen stand keine vier Schritte von mir entfernt und starrte mich an, ich hatte es nicht bemerkt, Jarmila

Weitere Kostenlose Bücher