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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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dann drehte ich mich um und ging weg von ihr, sie hatte sich
     für heute vorgenommen, herzlos zu sein. Was ich wollte, war klar und offenkundig, aber was führte sie im Schilde? Ich hatte
     einen Abdruck an ihrem Hals gesehen – war es der Schatten einer sich über ihrer Schulter kringelnden Locke oder ein Bißmal?
     Wollte sie mir heute enthüllen, daß sie einer Riesin glich, die jeden Zwergenmann aus dem Weg fegen könnte? Sie hatte sich
     festlich gekleidet, sie hatte Make-up aufgelegt, aber auf die Laufmasche nicht weiter geachtet, weil sie doch nur mit einem
     Liebesidioten abrechnen wollte, es |274| war tatsächlich nur ein Geschäftstermin, die Eissplitter in ihrem Herzen knirschten, und sie empfand Freude darüber, daß jedes
     ihrer Worte mich traf, ich ging, nicht verlassen, nicht vereinsamt, nur kalten Körpers, nicht verstört, nicht verängstigt,
     nur mit leichter Trauer in mir, ich ging an dem Renaissance-Hotel vorbei und einfach die Straße geradeaus weiter, ich hatte
     mir doch vorgenommen, eine schöne Seite dieser Frau zu entdecken, denn sie gehörte zu meinem Leben, hatte ich gedacht, ich
     hatte von den Toten nach dem Busunfall so viele Nächte geträumt, bis ich sie vergaß, bis ich in meinen Träumen keine grauen
     Farben und keine fahlen Gestalten sah, und das hatte ich ihr zu verdanken, der schönen Farbe ihres Gesichts und ihres Körpers,
     der Hoffnung, die mir ihre Worte eingaben, ihren Händen, die ich halten durfte. Sie verhielt sich herzlos, weil sie glaubte,
     ich wäre ein Schmeichler, der Überlebende eines Unglücks, das die Kräfte eines Zwergs freiließ, sie glaubte in mir einen dummen
     Frauenanbeter zu sehen, einen Tölpel, der das wachsweich gekochte Frühstücksei mit einem Perlmuttlöffel aß und aus unnötiger
     Vorsicht einmal in der Woche das Flusensieb der Waschmaschine wechselte.
    Ich hörte jemanden hinter mir meinen Namen rufen, nichts konnte mich aufhalten, von diesem Ort meiner Schande wegzukommen,
     ich ging weiter und wich den Menschen aus, den Tschechen, den Einheimischen, die stehenblieben und mir Platz machten, ich
     hörte sie meinen Namen rufen, scher’ dich zu deinem Doktorvater, dachte ich, scher dich zu deiner verdammten Wissenschaft,
     zu den Worten, die sich zu Sätzen fügen, und die Sätze füllen die Seiten, und dich begeistert der lappige trockene Sinn, denn
     deine Welt dreht sich um tote Frauen und Männer, forsch’ weiter und sterbe ab. Ich wurde an der Schulter festgehalten und
     herumgerissen, |275| und als ich sie vor mir sah, sagte ich: Du bist es nicht wert. Du bist ein Kleingeist aus der Kleinstadt, in meiner Abwendungsbewegung
     preßte sie sich an mich, ich versuchte, sie wegzudrücken und ließ davon ab, weil sie immer wieder meinen Namen aufsagte, du
     möchtest, daß ich einen armen wehrlosen Säufer zusammenschlage, rief ich heiser, was bist du für eine niederträchtige Frau,
     was sind das für Mutproben, die ich bestehen soll, damit du mir einen Kranz auf den Kopf legst, hau ab und such’ dir einen
     Mann, der genauso gestört ist wie du, Frau. Doch trotz meiner Worte, die ich ihr ins Ohr schrie, ließ sie nicht los, sie weinte
     nicht, sie vergrub ihren Kopf in meiner Achselhöhle, meine Wut wollte nicht verfliegen, ich stolperte weiter und zerrte Tyra
     mit, die Tschechen blieben stehen und machten uns Platz, sie ließ sich nicht abschütteln, sie ließ sich nicht wegdrücken,
     und als sie aufblickte, sah ich, daß ihre Wimperntusche verschmiert war, keine Tränen, wir hatten miteinander gerungen, und
     sie hatte die Tusche an meinem hellblauen Hemd verrieben. Keine Tränen. Eine Frau, die eine Schaufensterpuppe einkleidete,
     starrte hinaus, sie schüttelte unmerklich den Kopf, als wollte sie mich anweisen, dieser Frau mit dem Kopf in meiner Achselhöhle
     nichts anzutun, und fast hätte ich geschrien: Was soll ich ihr nicht antun, was?! aber ich blieb einfach stehen und erholte
     mich von dem Kampf, und auch Tyra richtete sich auf, sie hielt mich aber an meinen Jackettzipfeln fest. Wir standen. Die Tschechen
     umgingen uns im kleinen Bogen.
     
    Von der Kavovarna, der Kaffeekocherei in der Lucerna Passage, hatte ich viel gehört, doch es waren die falschen Menschen gewesen,
     die mir von diesem Café geschwärmt hatten, und also hatte ich es gemieden. Jetzt aber saß ich auf der Terrasse und starrte
     auf die sonderbare |276| Wenzelskulptur, ein totes Pferd mit hängendem Kopf baumelte, an den Füßen gefesselt, von der

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