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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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wen er mich erinnerte, also stand ich
     frühmorgens am Fenster, jeden Tag, und betrachtete den feschen Wiener, der mir die leichte Langeweile vertrieb.
    Ich hatte nach Kiel zurückkehren wollen, und als ich mit Gabriel am Telefon darüber gesprochen hatte, unterstellte er mir
     Nächstenhaß: Mein unzivilisiertes Gejammer über die verpaßte Chance einer großen Liebe würde ihn derart wütend machen, daß
     er am liebsten in die Sprechmuschel beißen wollte; ich hätte doch eine Affäre mit einer schönen Tschechin, die zudem Schauspielerin
     wäre, und seines Wissens könnten Schauspielerinnen in der Liebe von keinem anderen Berufsstand geschlagen werden, er, Gabriel,
     risse sich ein Bein aus, um, verdammt noch mal, geliebt zu werden, und nicht nur, daß keine Frau ihn endlich erkannte, von
     einer schönen tschechischen Schauspielerin könnte er nur träumen; ausgerechnet sein bester Freund würde ihn totärgern mit
     Frauengeschichten, ich hätte Geld und keine Eigenschaften, keinen Charme, kein attraktives Äußeres, keine wirklich überragende
     Intelligenz, und trotzdem … und trotzdem würden die Frauen auf eine Null wie mich fliegen. Ich unterbrach ihn ein einziges
     Mal und verriet ihm, daß ich nach Wien reisen wollte, Tyra hinterher, ich hörte ihn tief ein- und ausatmen, und dann sagte
     er, ich sollte für ihn auch ein Zimmer reservieren und ruhig die Kosten übernehmen, ich sollte in der Zeit, die er brauchte,
     um mit dem Auto herunterzufahren, keine Dummheiten anstellen und vielleicht nur |296| die neue Adresse von Tyra herausbekommen … Gabriel hatte in Wien gelebt, er kannte sich in dieser Stadt aus, und auch wenn
     er mich, wie er es ausdrückte, zum Leben ertüchtigen wollte, bestimmt konnte er mir helfen.
    Ich hatte es satt, allein durch die Straßen zu stromern, wie ich es jetzt tat, ich ging die Neubaugasse entlang und wunderte
     mich über die Angebote, hier ein Fachgeschäft für Grüntee, dort ein Laden für sozial vertretbare Kleidung, im Schaufenster
     sah ich sogenannte Ethnobotanik, Hanfmassageöltuben, tibetische Klangschalen, Räucherpokale, ein Schild warb für indische
     Taschenmode und Nostalgiebroschen, ein Plakat für den ›Welt-Kampfkunst-Konzern‹, es schloß sich ein Geschäft an, das sich
     anbot, Immobilien für Menschen mit Emotionen zu vermitteln. Hier wohnte wohl der gehobene Bürgerstand mit einem Sinn für den
     Tand der dritten Welt, und die Menschen, die mir entgegenkamen, waren schlecht angezogen, aber teuer gekleidet. Wem wollten
     die feinen Bürger etwas vormachen? Sie hatten Geld und ließen sich den alternativen Luxus etwas kosten. Wem wollte der fesche
     Wiener etwas vormachen? Er war schwul, und jeder Blickkontakt mit einem anderen Mann stellte für ihn eine sexuelle Herausforderung
     dar. Wem wollte ich etwas vormachen? Ich übersah die Almosenschalen der Bettler, stieg über ihre ausgestreckten wunden Beine
     und träumte von einem Wunder. Sie ereigneten sich, und nach zehn Jahren schlug man sich auf die Stirn und konnte die eigene
     Blödheit nicht fassen, weil man es nicht gemerkt hatte. Jarmila kam mir in den Sinn, sie lebte in ihrer Stadt, und vielleicht
     hatte sie sich mit dem Verdammten versöhnt, ich glaubte es nicht wirklich. Wahrscheinlicher war es, daß er die Schöne im Nerzmantel
     zu den ausländischen Gästen chauffierte und dafür Provision bekam, Verrat, Verkehr, Versagen, an so viele Worte konnte ich
     mich erinnern, |297| verkümmert, verkehrt, vertan, so viele Worte wollte ich aus meinem Kopf bannen. Ich sah in manchen Wohnungen Licht brennen,
     ein dunkler Himmel über den Dächern, aus der Dachluke einer Mansardenwohnung hingen Decke und Kissen zum Lüften heraus, es
     war wie ein Ausschnitt aus einem anderen Leben, und als ich begann, mich um meine Achse zu drehen, stieß ich mit Gabriel zusammen.
    Das wird nix, sagte er, so wird das nie was mit einer neuen Frau.
    Er sah furchtbar aus. Er hatte noch nie in seinem Leben eine Krawatte getragen, sein Hals war zu dick, er hatte noch nie einen
     Zahnstocher benutzt, er hielt es für eine südländische Affensitte, er steckte den Zinken einer Gabel zwischen seine Zähne
     und schaute seinem darüber verdrossenen Gegenüber in die Augen. Strümpfe, Gürtel, Unterhemden hatte ein Mann im Sonderangebot
     zu erstehen – nur Frauen kauften Haarpflegemittel. Ich wußte das alles, und trotzdem brauchte ich eine Weile, um mich an sein
     Aussehen zu gewöhnen. Er erzählte, daß ihn in Kiel

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