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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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wird zum jungen Mann, der Händler hat sich seiner angenommen und läßt ihn studieren, der junge Mann wird Arzt, findet die
     Liebe seines Lebens |43| und kommt zu einigem Wohlstand. Kaum hatte ich die letzte Zeile ausgelesen, zog ich die muffige Decke über den Kopf und schlief
     glücklich ein.
    Seele? Seele sind meine Nägel, sind meine Zähne, sind meine Haare. Ich bin Stoff, und der Stoff verdirbt. Dann bin ich tot,
     vergangen, ein für allemal, dann kommt nichts …
    Es war kurz nach Mitternacht, Leber, Messer, Bluterguß und ich, Rippe, hatten das Krankenhaus ohne offizielle Erlaubnis verlassen,
     der Polizist hatte in dem Moment, da wir durch den Ausgang hinausgehuscht waren, einfach weggeschaut, und nun streiften wir
     durch die Gassen, ich hatte den Leihmorgenmantel gegen einen Leihmantel getauscht, mal drangen Wortfetzen zu mir durch, mal
     blickte ich gedankenverloren in die Schaufenster. In dieser Prachtallee wimmelte es tagsüber von kaufschwachen Kunden, und
     meist las man in der Zeitung von dem großen Glück eines Mannes, der hier in einem Luxusgeschäft ein Collier für seine Frau
     gekauft und die Zeit gefunden hatte, sich grinsend fotografieren zu lassen.
    Seele? rief Bluterguß wieder aus, das ist meine Milz und meine Herzklappe, Seele ist meine Zunge, die abfault, sobald man
     mich in einem Erdloch verscharrt hat …
    Wir gingen an einem Gotteshaus vorbei, das überirdisch schön erleuchtet war, und ich lauschte einem seltsamen Geräusch, es
     hörte sich an wie Regenwasser, das sich in der Dachrinne sammelt und das Fallrohr herunterströmt, wie gerne wäre ich dem Geheimnis
     auf die Spur gekommen, doch ich konnte in dieser Dunkelheit nicht eigene Wege gehen, nach dem Unfall war es mir unmöglich.
     Plötzlich verspürte ich eine große Sehnsucht, ich sehnte mich nach etwas, das mich größer und glücklicher machen sollte –
     lass das sein, dachte ich, |44| davon wird ein Mann nur krank. Ich sah in den Schaufenstern nackte und angezogene Puppen, ein Ladenbesitzer hatte es für eine
     gute Idee gehalten, die abmontierten Glieder auf dem Boden hinter dem Schaufenster zu arrangieren, und die Hartplastikrümpfe,
     mit dunkelvioletten Spiralen bemalt, standen auf Holzkrücken …
    Seele ist mein verlängerter Rücken, der mir abfällt, wenn ich tot bin – geht das endlich in deinen Kopf hinein?! Bluterguß
     blieb abrupt stehen und funkelte Messer böse an, Messer klopfte ihm seelenruhig auf die Schultern, nichts davon ist wahr,
     sagte er, du bist aufgewühlt, weil in dieser schönen Nacht keine Frauenhand deine Wangen tätschelt, und wie bestellt drangen
     aus einem offenen Fenster die Klänge eines Klagegesangs, ich hob den Kopf und erstarrte wie ein Jagdhund – sah ich, was ich
     sehen wollte, oder sah ich den Schatten dessen, das sich stets entzieht und verbirgt?
    Schon wieder ein komischer Gedanke, schon wieder diese schöne Trübung in meinem Herzen. Wir gingen eine abschüssige Straße
     hinunter, das Pflaster war an einigen Stellen aufgerissen, und in eine Grube hatte man Schuhe ohne Schnürsenkel geworfen,
     die einstöckigen Häuser sahen aus wie türkisgrün bemalte Zündholzschachteln, laut Leber wohnten darin abtrünnige Zigeunerfürsten,
     von der Großfamilie verstoßene Räuberherren, die ihre Kinder zum Betteln und Klauen losschicken, aber bescheidene Verhältnisse
     vortäuschen. Eine Frau klopfte um diese Zeit einen Teppich, der schwer über einer Wäscheleine aus aneinandergeknoteten Strumpfhosen
     hing, und als wir an ihrem Balkon vorbeizogen, machte sie eine drohende Geste mit ihrem Teppichklopfer. Messer blieb stehen
     und fragte sie, weshalb sie freie Männer in einem freien Land belästigte, doch statt einer Antwort riß die Frau ihr Tuch vom
     Kopf, ließ es herunterflattern, und dann fing sie |45| an, wie am Spieß zu schreien. Sofort trat ein Mann im Unterhemd heraus, er war unrasiert, er konnte es mit Messer aufnehmen.
    Du hast meine Frau beleidigt, rief er, du Vorderhuf eines Packesels hast meine Frau verspottet.
    Sie hat uns bedroht, rief Messer zurück, wir machen einen Spaziergang. Wenn du, Topflappen, nicht schlafen kannst, kannst
     du herunterkommen und zweimal gegen meine Faust rennen.
    Lauf ’ bloß nicht weg, sagte der Mann, ich bin gleich da.
    Messer knöpfte seine Jacke auf und wandte sich uns zu, er lächelte über das ganze Gesicht, bald würde das große Ereignis eintreten,
     auf das er bestimmt den ganzen Tag gewartet hatte, ich aber empfand

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