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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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dem Putzwedel in ihrer Hand sah sie aus wie eine Zofe aus vergangenen Tagen. Die Tür knallte hinter ihr zu, Tyra |108| war weg. Was hatte ich erwartet? Ich stolperte ins Bad und fand auf der Toilettenbrille einen Abschiedsbrief, sie wollte sichergehen,
     daß ich ihn auch fand, es war eine offizielle Mitteilung, die aus sieben engbeschriebenen Zeilen auf blassem Papier bestand:
    ›Ein Liebhaber kannst du mir nicht sein. Ich führe mein Leben. Du führst dein Leben. Ich will dich nicht näher kennenlernen.
     Es bleibt bei dieser Nacht. Werben ist zwecklos. Lebwohl.‹
    ›Werben ist zwecklos‹ klang wie ›Hausieren streng verboten‹, sie hatte mir mit diesen Zeilen den Eintritt in ihr Leben untersagt,
     ich wunderte mich nicht wirklich darüber, ich war nur auf einen Schlag nüchtern und traurig. Ich zog aus meiner Mantelinnentasche
     Zahnbürste und Zahnpasta, der verstoßene Liebhaber putzt sich jetzt erst einmal die Zähne, dachte ich, der abgelegte Liebhaber
     für eine Nacht sorgt jetzt erst einmal dafür, daß man ihm den unruhigen Schlaf nicht ansieht, er spült schön seinen Mund aus
     und streicht mit der aufgefächerten nassen Hand so lange durch das Haar, bis es nicht mehr nach allen Seiten absteht. Ich
     schaltete den Fernseher ein, eine Frau stand vor einer verwehten Landschaft und hielt ein großes Mikrofon mit einem Plüschüberzug
     in der Hand, sie sah aus wie die typische Journalistin, die man an einen Ort des Geschehens schickt, damit sie ein Stimmungsbild
     gibt, und sie sprach auch wie die typische auswärtige Journalistin falsch, sie fing einen Satz an, brach aber in der Mitte
     ab und setzte erneut zu einer idiotischen Erklärung des Ausnahmezustands an – eine Frau ohne Eigenschaften. Sie wurde von
     der Frau einfach abgeschaltet, die im Studio saß, und jetzt lauschte und verstand ich, das war der Tag des Orkans, die Bürger
     wurden aufgefordert, ab dem Mittag nicht aus dem Haus zu gehen, der Unterricht in den Schulen wurde nach der vierten Stunde |109| für beendet erklärt, die Fähren stellten vorsorglich den Betrieb ein, die Planen und Netze wurden von den Gerüsten abgenommen
     und die Gerüstbauer zurückgerufen, die Betriebe gaben den Arbeitern frei, ein Zirkus hatte alle Vorstellungen abgesagt. Die
     Wetterforscher prophezeiten, vor allem im Norden des Landes, Windgeschwindigkeiten von 120 Stundenkilometern, der orkanartige
     Sturm würde sich in manchen Landesteilen zum Orkan auswachsen, nach Auskunft der Meteorologen gäbe es zwei Höhepunkte, um
     sechs Uhr abends und um zehn Uhr nachts. Tatsächlich braute sich draußen ein unglaubliches Unwetter zusammen, es war, als
     würde ein Riese mit dem Handrücken gegen die Häuserfronten schlagen.
    Im Frühstücksraum stand ich vor dem Tresen und starrte auf schwitzende Mortadellascheiben, einige wenige Handelsreisende bissen
     in ihre Wurst- und Käsebrote und stierten beim Kauen vor sich hin. Ich hatte keinen Hunger, ich trank Kaffee und las im Regionalteil
     der Zeitung von einem Kind, das in einen Buttermilchbottich gefallen und ertrunken war, ich hatte die Nase voll von den schlechten
     Nachrichten, sie nahmen mittlerweile die Hälfte der Meldungen in den Regionalseiten ein, die ich eigentlich las, um den Nachrichten
     aus aller Welt zu entkommen, Mord und Totschlag, Krieg und Gemetzel, Psychopathen und tote Frauen und Kinder, es gab keine
     Rückzugslinie, hinter die ich zurückweichen konnte.
    Ich öffne die Augen für dich, Tyra. Ich bin ein Mensch, der bei Verstand ist, und meine Kampferschöpfung dauert vielleicht
     eine halbe Nacht, ich schlafe, um wieder zu Kräften zu kommen, und diese meine Kraft reicht aus, sie schützt mich vor den
     bösen Nachrichten und den Prognosen, die die Menschen mutlos machen, ich bin ein Mann, der dein Gewicht tragen kann. Die Liebeslitanei |110| dröhnte in meinem Schädel, sie hatte mir eine Nacht geschenkt, ich war infiziert.
    Ich bezahlte bei einer äußerst mißtrauischen Rezeptionistin, die bei mir eine Fluchtgefahr nicht ausschloß, ich stellte draußen
     fest, daß keiner sich die Mühe gemacht hatte, das Auto aufzubrechen, ich stieg ein und fuhr zurück nach Nienburg. Ein zweites
     kleines Wunder würde sich nicht ereignen, ihre Worte waren unmißverständlich, der Abschiedsbrief war eine Konstante in der
     Wahrscheinlichkeitsrechnung, ich dachte komische Sachen, ich dachte nach über die Mathematik, eine Disziplin, die sich mir
     verschloß, ich strengte mich richtig an, um ihren

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