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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Namen nicht laut auszusprechen. Ich war allein, es gab keinen Zeugen, ich
     konnte ihren Namen so oft aufsagen, wie ich wollte. Tyra. Tyra Tyra Tyra Tyra. Ein Sprecher des Deutschen Wetterdienstes erklärte
     im Radio, daß innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden mit bis zu siebzig Litern Regen pro Quadratmeter zu rechnen wäre.
     Tyra, verdammt noch mal. Jetzt bist du meinen Blicken entzogen, jetzt bist du nach einem kleinen Abenteuer zurückgekehrt zu
     Mann und Haus und Kindern, jetzt hast du es hinter dir, die Welt ist größer als Nienburg, doch sie bietet dir keine großen
     Überraschungen, in deinen Augen bin ich ein verdammter Mann aus Kiel, zwei Ausbrüche aus dem Trott, und du kannst weitermachen
     wie gehabt, so sind die Regeln, und es sind nicht meine Regeln, zwei Ausbrüche im Jahr, und du hast die Strahlkraft einer
     jungen Mutter …
    Ich war derart in Gedanken versunken, daß ich die Ausfahrt verpaßte, heute würde wahrscheinlich nichts auf Anhieb klappen,
     ich parkte in einer absoluten Verbotszone, hastig schrieb ich auf ein Blatt Papier das Wort Arzt in schraffierten Lettern,
     manchmal kam ich damit durch. Schon nach wenigen Minuten Fußmarsch |111| setzte mir die Kälte zu, ich war einfach nicht dafür geschaffen, in einer Kleinstadt nach einer Widerspenstigen Ausschau zu
     halten, und plötzlich erinnerte ich mich an Messer, ein einfacher Mann, der einfache Frauen schätzte und der mir eine getrübte
     Wahrnehmung vorwarf, weil mich der Westen und die tauben Nüsse der Aufklärung verdorben hatten für ›die Wollust‹, weil ich
     nicht die volle Kraft aufbrachte, weil weil weil … Du hast gut reden, dachte ich, von wegen Liebe ist Intervention, du brichst
     dir auch alle Knochen, wenn du mit voller Kraft gegen eine Eiswand geschmettert wirst. Ich sah mich offen um, und da ich maßlos
     wütend war, stürmte ich in den Schmuckladen, da stand sie, die feine Dame, und besprach sich mit ihrer Geschäftssklavin, ich
     habe sie auch ohne Ihre Hilfe gefunden, rief ich ihr zu, Sie haben kein Herz, wenn vor Ihrer Tür ein Verliebter zusammenbrechen
     würde, würden Sie die Tür verriegeln, und wissen Sie, weshalb? Weil Sie eine verbiesterte Spießerin sind. Ich stürmte hinaus,
     ich fühlte mich kein bißchen besser, großgesichtige Kleinstädter kamen mir entgegen, ich bedachte sie alle mit einem finsteren
     Blick, sie waren nicht verantwortlich für mein Elend, sie waren es doch. Nirgendwo eine Spur von ihr. Ich hatte hier nichts
     zu suchen. Der Wind fing sich in den Hinterhöfen und Gassen, und es hörte sich an wie das Pfeifen eines bösen Mannes, der
     versucht, Tierlaute im Wald nachzuahmen, aber nur einen Lockruf herausschreien kann, weil er keine Seele besitzt. Die Nienburger
     eilten zu ihren Verstecken, es war Zeit für mich, mein Versteck aufzusuchen.
     
    In Hamburg machte ich Zwischenhalt. Ich parkte den Wagen an der Helgoländer Allee auf einem Seitenstreifen hinter einer Brücke
     und eilte über die Reeperbahn, trotz des eisigen Windes und des Nieselregens waren |112| Proleten und Studentinnen mit ihren Freunden unterwegs, sie hatten dicke Schals um Hals und Mund geschlungen und gingen an
     den Dienstleistungsbetrieben vorbei, es war alles ein großes Mißverständnis, die Sexshops füllten die Regale mit Scherzartikeln,
     und die jungen Menschen, halbverdorben von der kalten Glut der Neugierde, nahmen die praktischen Gegenstände in die Hand und
     lasen glucksend die Gebrauchsanweisung auf der Rückseite der Packung, die nicht mehr minderjährigen Mädchen über zwanzig lachten
     über ihre mitgebrachten Loverboys, die ernst bleiben mußten, weil das alles eine Prüfung war: Wer seine Erregung zeigt, im
     Anblick der Erregungsartikel, hat verloren und muß allein ins kalte Bett kriechen. All diese Mädchen gingen mir auf die Nerven,
     sie sahen aus wie ihre Mütter, und wenn sie durch diese verruchte, nach Bratfett stinkende Straße schritten, fühlten sie sich
     unbändig frei – frei von den Fesseln der Mutter.
    Neben einem Abfalleimer saß ein Obdachloser auf einem Pappkarton, ich war wütend auf dem Weg zur Erleichterung, ich übersah
     ihn, so wie ich versuchte, die Anwerber für die Erotikshows zu übersehen, sie standen vor den Türen der Etablissements, nur
     hereinspaziert, riefen sie den Passanten zu, gehen Sie heut nacht nicht schlafen, ohne was erlebt zu haben, und strichen sich
     mit der lederhandschuhbespannten Rechten durch das Haar, das dünn und

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