Liebesbrand
sie dich abgewiesen?
|143| Ich blieb ihm die Antwort schuldig, weshalb sollte ich das einräumen, was ohnehin schon bekannt war, ich hatte mit Tyra eine
Nacht verbracht und machte daraus eine große Sache, und als hätte er meine Gedanken gelesen, sprach der heimgekehrte liebeswunde
Gabriel von seinem großen Anfang und wie schnell es gegangen war, wie schnell die Südländerin die Phase der Annäherung durchlief
und ihn dann mit dem Vorschlag überraschte, jetzt oder nie das Vorstellungsgespräch bei ihren Eltern zu absolvieren, sie wäre
die Tochter ihrer Mutter, und nur wegen ihres hochgewachsenen Vaters hätte sie sich überhaupt auf einen Fremdsprachler eingelassen,
sie war plötzlich zum fließenden Englisch übergegangen, und deshalb hätte Gabriel sie verstehen können.
Ich war also ein Fremdsprachler, sagte er, und sie war römisch-katholisch, eine teuflische Mischung, nur war sie keine Abtrünnige
und daher von meinem gepflegt barbarischen Atheismus nicht angetan, sie glaubte, mich herumdrehen zu können, aber ich dreh’
mich höchstens im Bett um, ich ließ mich trotzdem zu einem Anstandsbesuch überreden, einfache Leute, die Eltern, ich hab’
mich zeit meines Lebens vor einfachen Leuten in acht genommen und saß im Wohnzimmer ihres Vaters und ihrer Mutter, die Glasvitrinen
voll mit Flußpferden aus Porzellan, Keramik und Plastik, der Vater sprach, sie übersetzte, der Vater sprach von all den Hippopotamussen,
die er in all den Jahren gesammelt hätte, ein gähnendes Flußpferd stand auf dem Glastisch, um den wir gruppiert waren, und
immer wieder kraulte der Vater das Flußpferd zwischen den aufgestellten Ohren, ein Plastikungetüm war das, fast so groß wie
ein Dackel, und ich saß in einem Ledersessel und schaute abwechselnd mal in das Gesicht des Vaters, mal in das aufgerissene
Maul des Nilpferds, die Zahnstummel, das Zahnfleisch, die Zunge und der Rachen – alles originalgetreu, und sie |144| musterte mich streng von der Seite, denn ich wurde ja einer Prüfung unterzogen. Irgendwann hörte der Hippopotamus-Quatsch
auf, ich malte mir aus, wie es wäre, das gähnende Nilpferd mit einem Tritt vom Tisch zu fegen, und überhaupt kam ich mir wirklich
blöd vor, zum ersten Mal in meinem Leben trug ich nämlich einen Anzug, dunkelblau, sie hatte mir vor dem Besuch verraten,
daß ihr Vater Männer für unseriös hielt, die ihr Hemd nicht zuknöpften, und erst nach langem Verhandeln durfte ich den Kragenknopf
offenlassen, und auf eben diesen Knopf starrte ihr Vater, er tat so, als wäre es ihm gerade eben aufgefallen, ich hatte es
langsam satt, die Südländer können nämlich sehr böse starren, das Starren nahm kein Ende. Die Mutter versuchte die Anspannung
mit einem harten Themenwechsel zu lösen, sie sprach, meine Freundin übersetzte, die Mutter sprach von der Reinheit Mariens,
und da ging mir ein Lichtlein auf, denn ihre Tochter ließ sich von mir küssen und das Haar, den Nacken und den Rücken streicheln,
aber sie ließ keine weitere Unanständigkeit zu, sie sagte auf englisch: no obscenity, please! sie rief es jedesmal, wenn ich
einen Versuch unternahm, die Hand weiter abwärts wandern zu lassen, obscene hieß für dieses römisch-katholische Mädchen Beflecktheit,
obscene nannte sie es, wenn ich ihr beim Umkleiden zusehen wollte, sie sagte dann: Ich ziehe mich um, aber nicht aus, und
ich mußte aus dem Zimmer gehen und durfte erst auf Zuruf wiederkommen. Obscene war es, ihr unter der Decke zu nahe zu kommen,
ihre unbefleckten Brüste waren tabu, und ich dachte, das wird sich geben mit der Zeit, ich bin keiner von diesen unwiderstehlichen
Schönlingen, aber ich finde, ich bin auch nicht gerade abstoßend, ich dachte: Sie ist Südländerin, sie beruft sich auf die
guten alten Sitten, und sie will nicht bei mir den Eindruck hinterlassen, daß sie sich dem erstbesten Fremdsprachler |145| an den Hals wirft. Aber ihre Mutter sah nicht nur aus wie ein Geist, sie war tatsächlich ein Geist, der in dem Körper einer
Frau wohnte, es war also keine religiöse Maßnahme, die meine Freundin davon abhielt, sich wie meine Freundin zu verhalten,
sie hatte von ihrer Mutter die Unbeflecktheit abgeschaut, und mir schwante, daß sich daran, von der Hochzeitsnacht und gelegentlichen
Fehltritten mal abgesehen, nichts ändern würde, ich war bereit, sie zu heiraten, aber ich war nicht bereit, neben ihr zu liegen
und mir jegliche Phantasie zu verbieten, weil
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