Liebesbrand
Obst und Gemüseladen noch Licht brennen. Eine junge Frau wühlte im Müllcontainer nach Pfandflaschen
und anderem Wertgut, ihr Freund wartete im Auto mit laufendem Motor. Nicht morgen, vielleicht übermorgen. Und wenn nicht übermorgen,
wird die Hoffnung nicht sterben. Es wird nicht geschehen, daß ich der Sache, der Liebessache, überdrüssig werde. Überall,
wo ich hinschaue, entdecke ich Männer und Frauen, die sich zueinanderprügeln, und sie lassen nicht ab davon. Sie lieben, obwohl
sie fliehen möchten. Ich wollte sie alle zurücklassen: den Schweizer und die Begleitdame im Nerzmantel, den Maler und seine
Mätresse, Jarmila und den Verdammten – sie waren zu zweit, obwohl sie die Lust überkam, ihre Brust von einem Mann berühren
zu lassen. Sie waren zu zweit, obwohl die Liebe zu früh gekommen war. Ich platzte dazwischen, ich störte die Waffenruhe, ich
sprach von Herzschlag und Hitze und Puls, als wäre ich ein Arzt, der sich über Patienten im Bett beugte.
In dieser Nacht wünschte ich mir nur zwanzig Minuten Liebesspiel, ich stand vor der Hoteleingangstür, ich mußte einfach auf
den Klingelknopf drücken, und die freundliche verschlafene Rezeptionistin würde mich einlassen. Es ging nicht. Ich hielt ein
freies Taxi an, sagte: Vaclavske namesti, er fuhr die wahrscheinlich kürzeste Strecke zum Wenzelsplatz, ein gutgelaunter Zigeuner
mit Englischkenntnissen, so stellte er sich vor an einer roten Ampel, und als er die Hand zwischen die Sitze steckte, schlug
ich ein, Fremde Freunde Feinde, dachte ich, was geschieht noch alles, damit ich es verstehe.
Wohin? sagte er.
|256| Wie gesagt, Wenzelsplatz.
Wohin dort?
Ich will mich umsehen?
Was sehen? sagte er.
Dies und das.
Was ist dies, und was ist das? sagte er. Na, zum Beispiel das Reiterdenkmal.
Wurde totgemacht, vom eigenen Bruder. Damals.
Ja, habe ich auch gelesen.
Was ist das?
Ich verstehe nicht, sagte ich.
Dies und das, sagte er, dies ist Wenzel auf dem Pferd. Was ist das?
Ach so – wird sich herausstellen.
Spontaner Mann.
Er schwieg eine Weile, und ich hoffte, er würde mich in Ruhe lassen, es war ihm anzusehen, daß ihm etwas durch den Kopf ging,
und als wir an der übernächsten roten Ampel hielten, starrte er mich im Rückspiegel an.
Soll ich sagen, was ich glaube?
Bitte.
Sie sind nachtaktiv.
Richtig, sagte ich.
Wenzel abgestochen vom Bruder, fuhr er fort, da haben sie entschieden: heilig. War er wirklich heilig? Gott weiß, und ich
weiß es nicht.
Das macht Ihnen Kopfschmerzen, sagte ich.
Ich habe keine Kopfschmerzen, sagte er, in meinem Leben keine Tablette. Nicht eine einzige. Kerngesund. Kopf gesund, Brust
gesund und Zeugungsapparat gesund.
Zeugungsapparat?
Ja, sagte er, habe ich nachgeschlagen im Wörterbuch. Deshalb fahren wir zum Wenzelsplatz. Damit Sie was |257| Passendes finden. Ich gebe Ihnen Tipps. Die Frauen auf der Hauptstraße? Schlecht. Rein in die Seitenstraßen, da finden Sie
Spaß.
Ich drückte mich gegen die Rückenlehne, wandte den Blick ab und empfand wieder jene unsinnige Scham, die mich nicht etwa rot
anlaufen ließ, immer wenn sie sich einstellte, prickelten meine Handinnenflächen, und ich mußte sie kratzen, und dann war
ein Bekannter oder Freund in der Nähe, der sagte, daß das ein gutes Zeichen wäre, es stünde für einen baldigen Geldsegen.
Der Taxifahrer ließ mich auf der Hauptstraße aussteigen, und ich stürzte hinaus und prallte gegen einen betrunkenen jungen
Tschechen, er fluchte laut, und die Umstehenden lachten und brüllten, wie es nur Männer tun konnten, die Regeln und Konventionen
und überhaupt die auferlegte Zurückhaltung für einen großen Schwindel hielten. Ich eilte weiter und weiter und weiter, an
den Straßenecken der leicht ansteigenden Allee standen Schwarze in neuen teuren Turnschuhen, sie hielten sich ständig in Bewegung,
und jeder, der kurz auf die andere Straßenseite gewechselt war und wieder zurückkam, wurde wie ein Neuankömmling begrüßt,
sie klatschten die Hände aneinander, dann standen sie kurz beieinander und spähten über die Schulter des Gegenübers, um nach
Kunden oder Zivilpolizisten Ausschau zu halten. Ich kannte diese Szenen aus meiner Heimatstadt und aus anderen deutschen Großstädten,
die Drogentütchen wechselten bei jedem Handschlag den Besitzer oder eben nicht, es war derselbe Trick wie bei den Hütchenspielern.
Ein Schwarzer stieß mich leicht an, musterte mich und ging auf die andere
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