Liebesdienst
weniger bedeutende Joyce-Forscher empfing wie ein Kaiser seine Fürsten. Professor X, wie ich ihn nennen werde â seinen wahren Namen zu nennen wäre eine Verletzung des Berufsethos â, hatte mich vor ein paar Monaten bezüglich eines Buches mit irischen Märchen angeschrieben, signiert von W. B. Yeats (einem weiteren Themenschwerpunkt des Professors), das in unserem Katalog aufgelistet war. Ich hatte ihm den Katalog zugeschickt, weil ich wusste, dass das ein Steckenpferd von ihm war. Wenn das Buch nicht bereits verkauft sei, würde er es sich jetzt gerne ansehen.
Selbstverständlich hätten wir das Buch noch da, sagte ich und entschuldigte mich, dass ich den Termin vergessen hatte. Ich hatte mehrere Angebote ausgeschlagen, weil ich davon ausging, dass Professor X über kurz oder lang ein eigenes Gebot abgeben würde. Wem man etwas verkauft, ist in unserer Branche nicht ohne Belang. AuÃerdem hatte ich eine Frage, die ich ihm unbedingt stellen wollte â eigentlich im Namen meiner ganzen Familie â, sobald unser Geschäft abgewickelt war. Joyces Frau Nora â stimmte es, wie man munkelt, dass Joyce seine Frau ermuntert hat â¦
»⦠sich anderweitig umzutun?«, ergänzte der Professor.
Ich verbeugte mich, wie aus Achtung vor seiner Kennerschaft des Umgangssprachlichen, schreckte aber gleichzeitig vor meiner implizit vulgären Aufdringlichkeit zurück. Dennoch, ich sprach mit einem Biografen, und ist biografische Literatur nicht ipso facto vulgär aufdringlich?
»Als Nächstes werden Sie mich fragen«, fuhr er fort und schüttelte seinen groÃen Wuschelkopf wie ein Schaf, das sich weigert, über einen Graben zu springen, »ob Nora wirklich getan hat, was Joyce sich einmal in einem Brief an sie von ihr gewünscht hat â dass sie sich in einen Sessel setzte, die Beine gespreizt, mit der Krücke auf irgendein erfundenes Vergehen deutete, für das er zur Verantwortung gezogen werden wollte, ihn mit vorgetäuschter Wut zu sich heranzog, ihn kopfüber in ihren Schoà stieÃ, ihm die Hose herunterzog, ihre Krücke hob und â¦Â«
Ich wartete. Wenn schon vulgär, dann richtig.
»Wer weië, sagte er. Es war keine Frage, eher eine Feststellung, worauf wir beide in Schweigen versanken und den Worten nachlauschten, die wie Steine in einen tiefen dunklen Brunnenschacht purzelten.
Mehr hatte er offenbar nicht zu dieser Sache beizutragen, und ich war drauf und dran, ihm die Hand zu geben, um mich zu verabschieden, als er plötzlich offenbar meinte, mich nicht einfach so stehen lassen zu können, und noch eine letzte strenge Belehrung hinzufügte: »Fetischismus und Analfixierung, oder was immer Sie sonst suchen, werden Sie bei allen Schriftstellern finden, die, so wie Joyce, es sich zum Thema gemacht haben, die Liebe einer genauen Untersuchung zu unterwerfen, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen, sie zu rekonstruieren und zu konkretisieren. Ruhelose Fantasie ist immer ein gefundenes Fressen für Gerüchte.«
Danach konnte ich nicht mehr fragen: »Und wie war das nun mit Nora?«
In Gegenwart dieses distinguierten Herrn stieà mir meine Neugier nicht nur als schlechter Stil auf, was mich persönlich betraf, sondern auch als intellektuelle Beleidigung. Wie er sein groÃmächtiges Naserümpfen mit seiner Profession als Sensationshai in Einklang brachte, weià ich nicht, aber ich fand, es war richtig von ihm â besonders, da er nichts von der zwielichtigen Begegnung meines GroÃvaters mit Joyce und Nora im Zunfthaus zur Zimmerleuten wusste, und ich ihm diese Begebenheit jetzt ganz bestimmt nicht erzählen würde â, mich wegen einer Wissbegier zurechtzuweisen, die unästhetisch war. Das Leben ist nicht das Werk, das Werk ist nicht das Leben. Joyce, der Romanautor, ist Joyce, der Romanautor, und Bloom, der ehemalige Löschpapierverkäufer, ist Bloom, der ehemalige Löschpapierverkäufer. Andererseits brauchte Professor X die beiden auch nicht vor mir in Schutz zu nehmen. Ob im Namen der Kunst oder nicht, mir sind Männer lieb, die sich dem Dauerkrieg um Besitzstände mit anderen Männern verweigern, die totale Inanspruchnahme totaler Macht vorziehen, die ihren gebieterischen Willen aufgeben und ihren Frauen gestatten, mit ihnen zu machen, was sie wollen.
Das wirft, unbestritten, eine weitreichende Frage auf. Was ist, wenn das, was die Frau mit ihm macht, nicht so sehr
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