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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ihr, sondern eher ihm gefällt? Hat er in diesem Fall seinen Willen aufgegeben, oder übt er ihn nicht vielmehr nur in anderer Form aus?
    Eine Auseinandersetzung dieser Art bahnte sich offensichtlich zwischen Marisa und mir an, ganz gleich, ob sie nun diejenige war, die mir Munchs Nachtwanderer mit der Aufforderung, mein Leben in Ordnung zu bringen, geschickt hatte oder nicht. Es zählt zu den Allgemeinplätzen in der klinischen Literatur über Perversionen, dass der Masochist ein tyrannisches Drehbuch aufsetzt und dass immer dort, wo ein devoter auf einen dominanten Charakter trifft, der Devote bestimmt, wo es langgeht. Der Herumkommandierte ist derjenige, der kommandiert, der Sklave dominiert in Wahrheit die Mistress. Ein schönes Paradox des inversen Lebens.
    Eigentlich langweilt mich das meiste hieran zu Tode. Jedem, der sich auch nur ein bisschen mit der Rolle der Partner in einer sadomasochistischen Beziehung auseinandergesetzt hat, wird das Wechselspiel in ihrem Machtaustausch auffallen. Aber mich interessiert nicht der Mensch, der sich des Themas nur kurzfristig annimmt; mich interessiert, mindestens konversationshalber, der Mensch, der sich ein Leben lang damit beschäftigt hat. Professor X wäre also eigentlich genau der Richtige für mich gewesen. Die genaue Untersuchung der Liebe, die er Joyce attestierte, erschien mir jedoch zu abstrakt und zu feige, eine Entschuldigung für das schlechte Benehmen eines Ehemanns, wenn man sich eine Feier gewünscht hätte. Wie so viele Biografen des Unkonventionellen war er zu konventionell, um diese Arbeit angemessen zu bewältigen. Zumindest zu konventionell, als dass ich gerne mit ihm geplaudert hätte.
    Ein Perverser kann vieles von dem, was er weiß, gar nicht weitergeben, weil sich niemand findet, dem er es weitergeben könnte.
    Und ausgerechnet mir wird gesagt, meinem Leben würde etwas fehlen!

Womit ich wieder, im Tempo des Perversen, beim Auspeitschen gelandet bin.
    Als Sohn meines Vaters kannte ich mich damit aus. Alle Männer unserer Familie aus der Generation meines Vaters haben sich ganz selbstverständlich auspeitschen lassen, vornehmlich auf dem Kontinent, wo man für die Feinheiten temporärer sexueller Metamorphosen mehr Verständnis hat. Englische Prostituierte verachtete mein Vater zutiefst, zu welchem Zweck auch immer er sie engagierte. Er wurde nicht müde zu betonen, die Prostituierten stellten eine nationale Schande dar, nicht weil sie Prostituierte seien, sondern weil sie so wenig »joie de vivre« oder Ȏlan vital« besäßen. Es war kein Zufall, dass er das, woran es ihnen mangelte, nur in französischer Sprache ausdrücken konnte. Immer wenn er in sich die Triebe aufsteigen spürte, die eine Ehe nicht befriedigen kann, schnürte er sein Handgepäck und machte sich, wie schon sein Vater vor ihm, auf nach Frankreich oder Deutschland. »Die Frau, die einem das Haus sauber hält, sucht man sich diesseits des Kanals, die Mätresse, die einem die Fantasie verdirbt, jenseits«, sagte er mir mal, als er betrunken war. Auch in dieser Hinsicht habe ich als überglücklicher Ehemann mit der Familientradition gebrochen. Ich hatte es nicht nötig, aus dem Haus zu gehen, um mir die Fantasie verderben zu lassen.
    Wenn mein Vater und meine Onkel nicht verreisen konnten, gaben sie sich allerdings auch mit dem zufrieden, was sie vor ihrer eigenen Haustür fanden.
    Als eine Art Übung zur Stärkung der Familienbande begleitete ich sie einmal bei ihrem Besuch eines Hauses in der Baker Street, unweit von Sherlock Holmes’ ehemaliger Adresse. Es war mein einundzwanzigster Geburtstag. »Du kannst dir aussuchen, was du haben willst. Prügel oder Kuchen«, hatte mein Vater mir angeboten.
    Â»Ich nehme den Kuchen«, sagte ich.
    Â»Damit ist die Sache entschieden«, sagte er. »Die Prügel also.«
    Sie betrachteten das als eine therapeutische Maßnahme, als gingen sie für eine Nassrasur zum Friseur oder ein Fußpeeling zur Pediküre.
    Wir saßen zu viert auf einem langen Sofa mit gehäkelten Schonbezügen auf der Lehne hinterm Kopf und begutachteten die Frauen, die vor uns defilierten. Jeder hätte gedacht, wir würden Küchenmädchen, wenn auch ungewöhnlich gekleidete Küchenmädchen, zur Anstellung begutachten. Die Frauen rasselten ihre Spezialitäten herunter, je nach Herkunft oder Praktik – griechisch, französisch,

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