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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ist, dass er nicht genug Mittel und Wege findet, sie zu würdigen?
    Wie gesagt, mir als Sechzehnjährigem bedeutete all das nichts. Faith hatte die Küsse eines anderen Jungen geraubt, und wenn ich daran zurückdachte, stieg mir aus dem Magen noch immer ein Geschmack von glutheißer Süße auf, aber ich stellte keinen Zusammenhang her. Ich las die Geschichte, die Victor für mich mit einem Lesezeichen markiert hatte, wertete es als Versuch, obszönes und ehrenrühriges Verhalten mit dem Glanz der Klassik zu verbrämen, schämte mich noch mal dafür, der Schmach nur so knapp entronnen zu sein, und dachte nicht mehr an den Vorfall. Aber das heißt nicht, dass sie nicht trotzdem weiter an meiner Seele nagte und mich ohne mein Wissen auf Marisa vorbereitete.
    Hätte ich um die Wirkung gewusst, ich hätte mich persönlich bei Victor bedankt.
    Gleichwohl, der Dank hätte ihn nicht mehr erreicht. Zwei Monate nach meinem Besuch wurde das Haus in Cookham ein Raub der Flammen. Weder Victor noch Joyce Gowan überlebten. Das Feuer vernichtete alles – die Menschen, die Fotografien, die Gemälde und das, was von Victors Bibliothek übrig geblieben war.

Dies ist nicht im konventionellen Sinne eine Familiengeschichte. Wenn überhaupt, dann ist es eine Antifamiliengeschichte, in dem ich nämlich, wie ich heute begreife, als Beispiel dafür diene, wie sich ein Mann vom evolutionären Imperativ befreien kann. Es ist egal, was mit deinem Samen geschieht. Sollen andere mit ihrem Samen mehr anstellen als du, wenn ihre Biologie ihnen das diktiert. Mein Samen bleibt ohne Folgen. Das ist meine Antwort auf Marius, der die Ansicht vertrat, das Menschheitsgeschlecht sei am Ende. Sehen Sie her, ich bin der Vorbote einer schönen neuen Menschheit, die sich heldenhaft über den darwinschen Sumpf erhebt und sich keinen Deut um Selektion oder Aussterben schert.
    Wie aber setzt sich diese heldenhafte neue Menschheit fort?
    Fragen über Fragen. Nicht allein der Cuckold verlangt immerfort eine Antwort auf die Frage, was als Nächstes geschieht.
    Wir stehen auf den Schultern von Zwergen, so wachsen und gedeihen wir. Wir dauern fort, weil wir bei den gemeinen Samenträgern des Lebens schmarotzen. »Dein Schmarotzer«, wie Mosca, Volpones Schmarotzer frohlockt, »ist ein edel Ding, vom Himmel gefallen, nicht von Tölpeln und Tollpatschen hier auf Erden gezeugt.«
    Ebenso der Cuckold: abgebrüht, eitel, schlüpfrig wie ein Aal, aber doch ein edel Ding. Ein Vorbild für zukünftige Männer, aus dem einfachen Grund, weil von uns keine Zukunft ausgehen kann. Wir verbrennen wie der Phönix. Das Schlechte in uns stirbt mit uns. Wir haben keine Jünger und gehören keiner Sekte an. Und wir hängen nicht wie Narren einem Glauben an, es sei denn, eine Frau ist ein solcher.
    Dennoch, ich entstamme einer Familie, auch wenn ich selbst keine haben werde, und ich glaube, es ist kein Widerspruch zu meiner beispielhaften Ablehnung der Evolution, wenn ich etwas zu dem Familienunternehmen sage, dessen einziger Direktor ich bin. Mein Vater war dagegen, dass ich den Betrieb übernahm, er sprach mir jede Befähigung zu einer ordentlichen Arbeit ab, außer »ins Kissen zu heulen«. Meine Onkel dagegen ehrten mich mit einem Vertrauen, das zu rechtfertigen ich mir redlich Mühe gab, sogar noch lange über ihren Tod hinaus, als sich auch das Leben meines Vaters dem Ende zuneigte und er im Altersheim jetzt selbst ins Kissen heulte, sich auch auf andere Weise einnässte und von morgens bis abends mit ältlichen Frauen Canasta spielte, die breitbeinig dasaßen und ihn so zu Versprechungen reizten, die er nicht halten konnte.
    Wir verkaufen antiquarische und seltene Bücher seit über hundertfünfzig Jahren, ohne dass wir je unseren verschwiegenen Standort, für das bloße Auge kaum sichtbar und jedem versperrt, der keinen Termin hat, an einem ruhigen Platz im Nordwesten der Wigmore Street verlassen hätten. Kunden mit einem Termin schauen nach rechts und links, bevor sie eintreten, und sehen sich noch mal um, wenn sie wieder gehen, wie Männer, die befürchten, in der Nähe eines Bordells erwischt zu werden – so sollen sich unsere Kunden fühlen. Wir schaffen eine Atmosphäre der Heimlichkeit, als hegten wir fragwürdige Absichten, dabei sind die meisten der Tausenden von Büchern, die durch unsere Hände gehen, durch und durch

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