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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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seriös.
    Ich bin mit alten Büchern aufgewachsen, und ich fühle mich ihnen verbunden. Besonders gerne kaufe ich Bücher, eine Tätigkeit, die mich – ganz so wie ich es an dem Tag, als Victor mich in Maidenhead abholte, vorausgesehen hatte – bis in die malerischsten Winkel des Landes führt und mit der menschlichen Natur in ihren reizendsten und melancholischsten Ausformungen bekannt macht.
    Den Verkauf überlasse ich weitgehend meinen Angestellten. Heutzutage ist das hauptsächlich eine Frage der Technik. Aber der Kauf einer ganzen Bibliothek ist eine sinnliche Angelegenheit und eine Sache der Intelligenz. Die Qualität einer Sammlung kann man vor der ersten Sichtung förmlich riechen, so wie man riecht, was man von einer Geliebten erwarten kann, bevor das Küssen losgeht. Sex durchdringt alles, Bücher und ihre Geschichte nicht weniger als Menschen, manchmal sogar mehr als Menschen. Wie oft sehen wir Leute im Bus oder im Zug ein Buch lesen und mit einer sinnlichen Spannung die Seiten umblättern, als wollten sie einen geliebten Menschen entkleiden. Hat das Buch durch Alter und Reife höhere Weihen erfahren, und denkt man an die vielen Finger, die vorher an denselben Stellen gelegen haben, erhöht sich der Reiz des Anblicks noch. Zugegeben, das ist nicht jedermanns Geschmack. Manche ziehen den Geruch von druckfrischen Buchumschlägen vor, so wie andere eine Vorliebe für intakte Jungfernhäutchen haben. Wir haben alle unsere Macken.
    Kein Zweifel, diese Vorliebe für alles, was häufig den Besitzer gewechselt hat, habe ich von meinem verrufenen Vater und seinen nicht minder verrufenen Brüdern geerbt. Vor mir jedoch hatte noch kein Mitglied der Familie diesen Begriff des Eros bis zu seinem logischen Schluss geführt. Erst ich habe mich zu einem wahren Genießer des Gebrauchten entwickelt.
    Es bedeutet unter anderem, dass ich für diese besondere Form der Genusssucht bei anderen Menschen sehr empfänglich bin. Ich dränge niemanden dazu zu verkaufen, selbst wenn ich eine weite Anreise habe. Nur wenige, die sich dazu durchgerungen haben, sich von ihren Büchern zu trennen, tun das aus freien Stücken. Sich von ihren Frauen zu trennen würde ihnen leichter fallen. Der schon etwas ältere und seit Langem emeritierte Professor, auf dessen Beerdigung ich Marius kennenlernte, war so ein Fall. Als ich auf seine Einladung hin bei ihm eintraf, ging er nervös die Einfahrt auf und ab, weil er ganz besorgt war, ich würde zu der verabredeten Stunde mit einem Möbelwagen anrücken und gleich mit dem Einladen beginnen. Meine Ankunft in einem zerbeulten Taxi von der Bahnstation und die Feststellung, dass ich erst mal nur in Augenschein nehmen wolle, was er anzubieten habe, beruhigten sein Gemüt beträchtlich.
    Â»Oh«, sagte er mit einem Piepsstimmchen wie von einer Maus, auf die man versehentlich tritt. »Dann muss ich ja doch nichts vor Ihnen verstecken.«
    Mit zittrigen Händen kochte er mir Tee, dieser belesene alte Umstandskrämer, den die Frau mit seinen Büchern und seinem Bücherwissen allein gelassen hatte. Sie habe den muffigen Geruch nicht ertragen können, erklärte er mir. »Und vielleicht auch meinen nicht«, sagte er lachend, wozu es in seiner Brust rasselte.
    Ich mochte ihn. Ich mochte die Silhouette seiner langen, gebückten Gestalt, seine Vierschrötigkeit, und mir gefiel, wie er seine Krawatte trug, als wäre es ihm egal, wo der Knoten saß und ob das schmale Ende doppelt so lang war wie das breite. In meinem Gewerbe treffe ich häufig auf Männer, die ihre Krawatten auf diese Weise binden, ich schreibe es der Einsamkeit des Büchersammelns zu.
    Ich habe eine Schwäche für Männer, die verlassen wurden. Ich trete in ihre Gefühlswelt ein. Vielleicht kommt es daher, weil ich immer befürchtete, eines Tages selbst ein Mann zu sein, der verlassen wurde. Und – da wir uns nun schon mal dem Vielleicht hingeben – vielleicht auch, weil ich hoffe, irgendwann einer zu sein. Verlassen, den Rest meines Lebens vor mich hin schluchzend, während die Frau, die ich liebe …
    Es gibt abgründigere Wünsche.
    Nach dem Tee folgte ein schrecklicher Moment. Ermutigt durch die Entdeckung, dass mir jede Habgier fern war, fing er an, aus einem Kabuff unter der Treppe kostbare Ausgaben hervorzuholen, George MacDonald, Christina Rossetti, »Monk« Lewis, jede in ihr Totenhemdchen aus

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