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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Fragen wie: Liebte sie ihre Männer, oder liebte sie sie nicht? Und liebten die Männer sie, oder liebten sie sie nicht? Sie liebte ihren Ehemann. Dann lernte sie mich kennen. Den nächsten Ehemann. Und liebte mich. Fertig. Ende der Geschichte.
    Jedenfalls hätte es das Ende sein können.
    Ob es das Ende war oder nicht, mit der Frage konnte ich gut leben. Wie gesagt, die Ungewissheit kam mir entgegen.
    Aber nur einerseits.
    Meine Haut strahlte, aber in dem straff gespannten Kokon stiller Erwartung, der für Zufriedenheit gehalten wurde, lechzte ich nach einer Wiederholung oder einer gleichwertigen Szene, wie ich sie zitternd neben Marisas Bett erlebt hatte. Wenn sie schon nicht von anderen Händen berührt werden durfte, konnte sie dann nicht wenigstens von anderen Augen betrachtet werden? Ich war zwar noch nicht in Victor Gowans Alter, aber ich verstand seine Verzweiflung. Marisa lief nicht die Zeit davon, auch mir nicht – im Gegenteil, man hatte mir gerade gesagt, dass ich Zeit gewonnen hätte –, aber man weiß nie, was kommt. Ich befürchtete, die bequeme makellose Konventionalität unseres gemeinsamen Lebens, mit vielen Verheißungen, aber ohne Wagnisse, würde uns auffressen, wenn wir nicht aufpassten. Eine Frau kann sich daran gewöhnen, dass ihr Mann sie nicht für einen anderen auszieht.
    *
    Wie also sind wir schließlich doch dahin gekommen, wo wir am Ende gelandet sind? Wie haben wir es geschafft, unser Schweigen in Handlung umzumünzen, deutlich und unübersehbar wie Marius?
    Es wäre unmöglich, eine so unendlich raffinierte Entwicklung wie die unsrige – manche würden es gewiss einen Abstieg nennen, zu Unrecht allerdings – zurückzuverfolgen. Ebenso gut könnte man versuchen, die von Sekunde zu Sekunde sich verändernden Lichtverhältnisse zu malen, die den Übergang vom Tag zur Nacht markieren.
    Jeder Tag hat seine Schlüsselstunde, vier Uhr, und in einer Ehe ist es nicht anders. Unmerklich, aber entschieden gaben wir uns jenen äquinoktialen Stunden hin, wenn die Beziehung zwischen Liebenden auf ihrer Achse kippelt. Und wenn wir nicht so gefährlich kippelten wie gewünscht, brachte ich mein Gewicht ein. Dann kam etwa ein alter Bekannter von mir zu Besuch, und ich täuschte im Verlauf des Abends Unwohlsein vor und überließ es Marisa, den Gast zu unterhalten. Auf Marisas Partys, bei Oxfam oder im Büro der Telefonseelsorge machte ich mich rar und beobachtete sie aus dem Hintergrund, während sie sich unterhielt und lachte, mit wem sie wollte; in jeder Hinsicht eine Frau, die nur ihrem eigenen Willen folgte. Ich tanzte nicht mehr so oft mit ihr wie zur Zeit unserer jungen Liebe, ließ die geselligen Abendrunden der Tanzschule ausfallen, sodass sie ungehindert mit den Leuten verkehren konnte, an die sie schon früher ihren Körper gepresst hatte, oder kam auch schon mal zu spät zu den gelegentlichen Tanzstunden, in der Hoffnung, sie würde wie eine heiße Stute mit dem neuen Lehrer tanzen, einem Argentinier mit Knopfaugen und Pferdeschwanz.
    Wir verloren kein Wort darüber, während und nach diesen Vorkommnissen – wenn man sie so nennen will –, jedoch wurde stumm eine Veränderung konstatiert, meine schrittweise Entfernung, wie ein sich auflösender Geist, von der abenteuerlichen Bühne, die Marisas Leben war.
    So gespenstisch diese Entwicklung auch war und sein musste, ließ sich ein Gespräch über sexuelle Turbulenzen doch nicht gänzlich vermeiden. Wir gingen ins Theater, in die Oper, ins Ballett, wir kauften Karten, um Sänger singen und Schriftsteller aus ihren Werken lesen zu hören. Es lässt sich kein zivilisiertes Leben führen, ohne nicht unter die Nase gerieben zu bekommen, wovon alle Kunst immer und ewig spricht, Unbeständigkeit und Leid. Dennoch übertrugen wir das Gesehene nicht eins zu eins auf unser Leben. Nur in den diskursiven und rein intellektuellen Nachwehen eines Meisterwerks der erotischen Verzweiflung wie Dido und Aeneas oder Winterreise, nur in einer Sprache, die so unpersönlich wie gesittet war, legten wir dar, was wir zum gegenseitigen Verständnis brauchten.
    Insbesondere eine Gelegenheit kommt mir dabei in den Sinn. Wir waren mit Marisas jüngster und mir unangenehmster Halbschwester Flops und ihrem Mann Rowlie im National Theatre und hatten Othello gesehen, eine emotional aufgeladene, aber abstoßende Produktion, weil

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