Liebesdienst
Entschuldigungen, das Dankeschön, die Ausreden und die Lügengeschichten â hätte sie ebenso gut lassen können.
Einmal wurde sie von einem Kollegen bei Oxfam zum Frauentausch in einen Swinger-Club eingeladen, den er »in einem anderen Zusammenhang schon mal aufgesucht hatte«, wie er sich ausdrückte.
»Aber ich bin doch gar nicht deine Frau«, hatte sie sanft erwidert. Sie wollte nicht prüde, sondern nur präzise sein.
»Frauentausch ist auch gar nicht richtig«, erklärte er. »Eher Fetisch.«
»Fetisch? Wie im Voodoo?« Sie konnte nichts dafür; sie dachte, er wollte sie nach Westafrika oder Haiti entführen.
»Nein, halt Ketten und Leder.«
Sie besitze keine Lederkleidung, hatte sie geantwortet, auÃer Schuhen und Gürteln aus Leder und einer Jacke, die aber fürs Clubbing in Haiti noch zu gut sei. Und ihre Ketten â die einzigen Ketten, die sie hatte â waren achtzehnkarätige Halsbänder aus WeiÃgold, die Liebhaber für sie gekauft hatten, bei Asprey und Garrard.
Er bot ihr an, etwas Passendes für sie auf einem der Kleiderständer bei Oxfam auszusuchen. Sie trage aber nie gebrauchte Kleidung, wandte sie ein. »Dann nimm einfach irgendeinen Rock und eine Jacke aus deinem Kleiderschrank«, schlug er vor. »Und vergiss den Rock.«
»In Röcken sehe ich am besten aus«, sagte sie, aber kam ihm entgegen, indem sie die Jacke weglieÃ.
Von Stöckelschuhen hatte er nichts gesagt, auf die kam sie von allein. Stöckelschuhe standen ihr. Sie trug sie gerne. In Stöckelschuhen war sie gröÃer als die meisten Männer.
Der Swinger-Club entpuppte sich als Wohnzimmer und Küche einer viktorianischen Doppelhaushälfte in Walthamstow. Einige Männer hatten nur Shorts mit ledernen Hosenträgern an, die ein bisschen wie Lederhosen aussahen, andere trugen Hero-Shirts und Breecheshosen, einige wenige hatten Hundehalsbänder umgebunden. Ein Mann war als Druide aufgemacht. Die Frauen trugen das, was, in Marisas Fantasie jedenfalls, Prostituierte sonst unter ihren Mänteln verbargen. Eine groÃe Blonde mit einer diamantenbesetzten Augenklappe und Vatermörder tanzte für sich allein. Ihr rosaviolettes Gummi-Cocktailkleid hätte Marisa auch gerne gehabt, wenn sie öfter hergekommen wäre, aber so weit würde es wohl nicht kommen. Nach der Atmosphäre zu urteilen, hätte es auch eine Weihnachtsparty für Taxifahrer sein können, obwohl sie noch nie auf einer gewesen war.
Sie tanzte mit einem jungen Schwarzen, der ohne Anhang da war. Er trug Latexhosen und legte ihre Hand in seinen Schritt. Er wollte gleich zur Sache kommen, Geschlechtsverkehr hier auf der Tanzfläche oder auf der Toilette. Was er mit ihrer Hand anstellte, dagegen hatte sie nichts einzuwenden. Sie tanzte, und was beim Tanzen passierte, unterlag nicht den gängigen Geboten des Anstands. AuÃerdem war er kein schlechter Tänzer. Aber Geschlechtsverkehr, ob auf der Tanzfläche oder der Toilette, dem sah sie sich nicht gewachsen. Ein Blick ins Badezimmer hatte ihr gereicht, nicht mal die Nase hätte sie sich darin geputzt. Der Raum, in dem getanzt wurde, erinnerte sie an eine Pension in Bournemouth, in die ihre Mutter und einer ihrer neuen falschen Daddys sie mal mitgenommen hatten, kurz nachdem ihr richtiger Vater sie verlassen hatte. Die Teppiche waren grün, und auf dem Kaminsims standen Schälchen mit Plätzchen und Nüssen. »Niemals Gebäck und Nüsse aus einer Schale nehmen«, hatte ihre Mutter sie damals ermahnt und sie an den Handgelenken gepackt, »Wer weiÃ, wer alles seine Pfoten da reingesteckt hat.« Marisa, die sich wünschte, ihre Mutter wäre selbst nur halb so wählerisch, was Männer betraf, weinte die ganze Zeit über. Die Teppiche in Walthamstow waren grün, und auf dem Kaminsims standen Schälchen mit Plätzchen und Nüssen. Marisa lieà ihre Hand da, wo der Schwarze sie hingelegt hatte, aber schüttelte den Kopf. »Ich möchte lieber nur tanzen«, sagte sie.
Er schüttelte ebenfalls den Kopf. Wenn er nur hätte tanzen wollen, wäre er in den Hammersmith Palais gegangen.
»Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen«, entschuldigte sie sich. »Ist nicht persönlich gemeint. Ich lasse mich gerne verführen, nur Plätzchen und Nüsse sind nicht mein Ding.«
Sie sah sich nach ihrem Kollegen von Oxfam um, der sie
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