Liebesdienst
eine«, sagte Rowlie. Er schien verärgert, als wäre das ein Thema, über das er unbedingt mit Othello sprechen müsste.
»Alle Othellos haben eine«, sagte ich »Die besten Shakespeare-Helden haben alle eine schmutzige Fantasie.«
Flops verdrehte die Augen zur Decke des Restaurants, wo sie anscheinend etwas für uns Irdische Unsichtbares entdeckt hatte. »WeiÃt du, was, Marisa? Ich glaube, unsere Männer wollen uns sagen, was es bedeutet, ein Mann zu sein.«
Ihr Gatte schnaubte. »Othello hat es das Herz gebrochen. Deswegen ist das Stück eine Tragödie. Aber was wir gerade gesehen haben, war eher eine schwarze Komödie â wenn ihr das Wortspiel entschuldigt. Ein Othello, der rasend scharf darauf ist, als gehörnter Ehemann dazustehen.«
»Ich verstehe nicht, was du dagegen einzuwenden hast«, antwortete ich ruhig. »Es sei denn, innerhalb der Logik des Stückes. âºNoch wär ich glücklich, wenn das ganze Lager, Trossbub und alles, ihren süÃen Leib genossâ¹, sagt Othello. âºIhren süÃen Leib!â¹ Ich bitte dich! Zugegeben, er sagt es im Konditional, aber trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass er sich die Szene lebhaft vorstellt. Als würde er Desdemona nicht nur vor den Augen des ganzen Lagers, sondern auch für Jago entkleiden.«
»Warum sollte er den Wunsch haben, dass Jago ihren süÃen Leib genieÃt?«
Es war unklug von mir, aber ich lachte. »Jago, Cassio, Rodrigo â ganz egal. Für Othello wäre es das Paradies, wenn so viele Menschen wie möglich ihre Freude an Desdemona hätten, und er von einem Versteck aus zusehen könnte. Es könnte auch die Hölle sein, das will ich nicht abstreiten. Es gibt keinen süÃen Schlaf für einen Mann, der eine Frau mit einem süÃen Leib hat. Aber wenn schon die Hölle, dann hat er sie selbst heraufbeschworen.«
»Jetzt hör aber auf!«, lieÃen sich Flops und Rowlie in seltener ehelicher Eintracht vernehmen. Wenn sie sich bedroht fühlen, rücken sie zusammen, die Ehefrauen und Ehemänner Mittelenglands.
Das Gespräch ging daraufhin zu anderen Themen über.
Erst später, als wir ins Bett schlüpften, sagte Marisa: »Du hast ein bisschen geschummelt. Wenn ich mich richtig erinnere, heiÃt es bei Othello, dass er glücklich wäre, wenn das ganze Lager, Trossbub und alles, Desdemonas Leib genieÃen würden, vorausgesetzt, er erfährt es nicht.«
»Desdemonas süÃen Leib«, korrigierte ich sie, wenn wir schon dabei waren, uns die Betonungen in Zitaten an den Kopf zu werfen.
»Aber er erfährt es nicht.«
»Ja. Das sind seine Worte.«
Marisa schien darüber nachzudenken. »Du würdest also behaupten, nehme ich an, dass er sich nicht mit geringerem Genuss in der Vorstellung von Desdemonas Schändung suhlen würde, wenn er sich unwissend wähnte.«
Ich nickte.
»Ich würde noch einen Schritt weitergehen«, sagte sie und kniff plötzlich die Augen zusammen. »Ich glaube, die Unwissenheit zieht die Schrauben der Eifersucht noch einmal empfindlich an.«
»Solange man weiÃ, dass man nichts weià â in dem Sinn?«
»Solange man nicht weiÃ, ob es überhaupt etwas gibt, das man wissen sollte.«
Müdigkeit vorschützend wünschte ich ihr Gute Nacht. Ich wollte ihre Worte mit in den Schlaf nehmen. Obwohl ich natürlich kein Auge zugemacht habe.
Von seiner Fischsuppe am Mittagstisch im Zunfthaus zur Zimmerleuten, seinem Lieblingsrestaurant am rechten Ufer der Limmat, aufschauend, trifft Felix Quinn â nicht ich, sondern ein junger Mann, der eine erstaunliche Ãhnlichkeit mit mir besitzt (der gleiche weiche Mund, die gleichen schüchternen, schmalen Augen), und nach dem ich wie zuvor schon mein Vater benannt wurde â auf den kecken Blick einer attraktiven, nicht uneleganten, aber untrüglich gewöhnlichen Frau (unsere Familie, wie ich nicht zu verbergen gesucht habe, ist eine Familie unverhohlener Snobs), die schätzungsweise doppelt so alt ist wie er und sich in Begleitung eines hühnerbrüstigen, halb blinden Mannes befindet, der vermutlich ihr Gatte ist. Felix hatte das Paar zuvor schon mal gesehen, einmal in einer Aufführung von Troilus und Cressida in der Pfauenbühne, ein anderes Mal bei einem Spaziergang am See. Auch bei diesen beiden Begegnungen hatte er geschaut und war angeschaut worden. Die
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