Liebesdienst
ausgelassen hatte, eine Vertreterin, sogar mehrere Vertreterinnen der Gattung Frau kennengelernt, die Amerikaner als »hot wife«, als scharfe Braut, bezeichnen. Eine dieser Frauen hatte Lionel Dulcie erklärt, sei verheiratet und tue gewöhnlich mit Einwilligung der Ehemänner anderen Männern ihre sexuelle Verfügbarkeit kund, indem sie sich ein Goldkettchen um das rechte FuÃgelenk band. In der Subkultur, in der diese subtile Semiologie erkannt und als Handlungsanweisung verstanden wurde, bedeutete ein Goldkettchen am rechten FuÃgelenk eine Aufforderung zu auÃerehelichem Geschlechtsverkehr, ohne Bedingungen â es sei denn, was häufig vorkam, mit dem Ehemann als Spanner.
»Das hört sich alles entsetzlich vulgär an«, lautete Dulcies erste Reaktion auf Lionels Geschichte mit den scharfen Bräuten. »Sind diese Leute tatsächlich in euer Konzert gekommen, um Janá cËek zu hören?«
»Versteh doch«, hatte Lionel geantwortet, »ansonsten sind das Leute wie du und ich.«
Dulcie schauderte und befürchtete das Schlimmste. Lionel war von einer dieser grässlichen Frauen verführt worden und hatte sich entweder verliebt oder eine Geschlechtskrankheit eingefangen oder beides. Selbst wenn nichts davon zutraf, wusste sie nicht, ob sie ihm je würde verzeihen können. Eine Frau aus Detroit mit einem FuÃkettchen. Lionel, oh, Lionel, wie konntest du nur?
Doch in Wirklichkeit â und Dulcie wusste sehr genau, wann ihr Mann die Wahrheit sagte â hatte sich Lionel gar nicht verliebt. Er liebte seine Frau Dulcie genauso wie zuvor. Zum Zeichen dafür hatte er ihr ein FuÃkettchen aus Amerika mitgebracht, das sie für ihn tragen sollte.
»Um damit zu signalisieren, dass ich eine scharfe Braut bin?«
»Ja, aber nur meine.«
»Nach dem, was du mir gerade erzählt hast, Lionel«, sagte Dulcie, »soll sich eine scharfe Braut doch mit anderen Männern vergnügen. Warum soll ich dir zeigen, dass ich anderen Männern zur Verfügung stehe, wenn es gar nicht stimmt?«
Diese Frage hatte ihn anscheinend überfordert. Etwas Besseres als »Die Vorstellung allein genügt mir schon« fiel ihm dazu nicht ein.
»Die Vorstellung, dass ich anderen Männern zur Verfügung stehe?«
»Ja.«
»Obwohl ich in Wirklichkeit gar nicht zur Verfügung stehe?«
»Ja.«
»Hast du schon mal daran gedacht, zu einem Psychiater zu gehen?«
Schon während sie mir das alles erzählte, hatte ich groÃes Mitgefühl für Lionel empfunden. Ich hatte ihn ein paar Mal getroffen, auf dem Betriebsausflug des Verbands der Bücherantiquare oder vielmehr, was der dafür hielt, und gelegentlich bei den Konzerten, die sein Quartett in der Wigmore Hall gab, oder bei anderen Veranstaltungen, die zu besuchen wir meiner Ansicht nach Dulcie schuldeten. Ich kann nicht sagen, dass ich ihn mochte. Er war mir ein bisschen zu männlich mit seinem tiefen Bass und seiner Bodenständigkeit und zugleich ein bisschen zu weibisch mit seinem organisatorischen Gewese, wenn er unnötig anrief, um Termine zu bestätigen, oder in Restaurants Listen mit den Bestellungen machte â vor allem in chinesischen Restaurants, wo er gern nach Nummern bestellte, angeblich um die Kellner nicht zu verwirren, obwohl seine Geschäftigkeit sie unweigerlich noch konfuser machte. Er hatte ein langes, schmales Gründervätergesicht, gekennzeichnet durch einen gewissen wölfischen Puritanismus, den er noch mit Gesichtshaaren unterstrich, die man nicht als Bart bezeichnen konnte, eher als Bartschatten, zu inselhaften Flecken auf seinen Wangen und unterhalb der Ohren zurechtgestutzt. Auch hatte er eine Art, seinen Mund zu bewegen, die ich nicht mochte, als wäre jedes Sprechen eine Qual für seine Zähne. Und dauernd fasste er sich an seine Haare. Selbst auf der Bühne, wenn er gerade nicht spielte, schien ihn sein Haar zu plagen. Ich hätte auf eine Perücke getippt, bloà hätte niemand für so einen verschimmelten Fetzen Geld ausgegeben. Aber man braucht einen Mann nicht zu mögen, um Mitgefühl für seine Zwangslage als Ehemann zu empfinden. Er war zu lange verheiratet, glücklich und spieÃig verheiratet. Nichts gegen Dulcie. Wenn man in alle Ewigkeit glücklich und spieÃig verheiratet sein wollte, war Dulcie wahrscheinlich die ideale Partnerin. Doch hatten die Strapazen, immer auf dem rechten
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