Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
Vom Netzwerk:
und geraden Weg zu bleiben, angefangen Spuren zu hinterlassen, wie sie schließlich bei jedem Spuren hinterlassen. Es ist verheerend, wie unsere Gesellschaft das Ideal der glückseligen ehelichen Normalität hochhält. Für Menschen, die etwas eigener sind, ist nicht genug Platz. Und am Ende lässt sich nur durch Eigenheit ein gewisses Maß an Glück erreichen.
    Die meisten Leute, die Marisa anriefen, wenn sie nicht mehr weiterwussten, wussten nicht deswegen nicht mehr weiter, weil sie eigen waren. Die Eigenartigen sind viel zu sehr mit ihrer Eigenheit beschäftigt, um bei der Telefonseelsorge anzurufen. Nicht abwegiger Sex treibt die Leute dazu, aus dem Fenster zu springen, sondern der Mangel an Sex. Wir sterben an den Ausgeburten der Einsamkeit, nicht an denen der Perversion. Perversion ist belebend. Der Perverse mag an sich zweifeln, aber er spürt, dass er lebendig ist.
    Diese Weisheit habe ich von Marisa. Das heißt, ich habe es mir aus dem wenigen, das Marisa mir erzählt hat, zusammengereimt. Und jetzt traktierte ich Dulcie mit der Essenz von Marisas Weisheit. »Und was, meinen Sie«, fragte ich sie, »soll ein Psychiater bei Lionel bewirken, was Sie nicht auch bewirken können, wenn Sie ihm mit seinem Wunsch nach einem Fußkettchen entgegenkommen?«
    Â»Er soll ihn wieder gesund machen. Lionel ist nicht ganz richtig im Kopf.«
    Â»Dulcie«, sagte ich, »es gibt kein Richtig und kein Falsch.«
    Â»Sie fänden es also nicht falsch, wenn ich ihn in seiner Fantasie bestärke, ich sei eine scharfe Braut?«
    Â»Ich glaube, es wäre falsch, wenn Sie es nicht täten …, solange es nicht dazu führt, dass Sie etwas tun müssen, was Sie eigentlich lieber nicht tun würden.«
    Â»Das Kettchen würde ich eigentlich lieber nicht tragen!«
    Â»Tja dann«, sagte ich und zeigte mich mit geöffneten Händen von ihrer Zirkellogik geschlagen.
    Â»Würden Sie das auch von Ihrer Frau verlangen?«, fragte sie plötzlich.
    Ich sah zu Boden. »Ein Fußkettchen zu tragen? Nein«, sagte ich. »Aber das ist eine rein ästhetische Frage. Ihre Fußgelenke sind viel schlanker als Marisas.«
    Â»Dann verraten Sie mir«, sagte sie, »warum ein Mann so etwas wollen kann. Lionel sagt, es sei weit verbreitet. Er sagt, überall in Amerika. Im Internet. Wenn es so weit verbreitet ist, dann erklären Sie mir, warum. Was ist los mit unserer Gesellschaft? Die Frau hat die Aufgabe, dem Mann treu zu sein. So wurde ich erzogen. Es gab mal eine Zeit, da ist Lionel abends ins Bett gegangen und hat wochenlang nicht mit mir geredet, wenn ich einen anderen Mann auch nur angeguckt hatte. Und jetzt soll ich eine scharfe Braut sein?«
    Â»Das eine ist nur die Kehrseite des anderen«, sagte ich. »Wenn Lionel die Qualen der Eifersucht nicht erlitten hätte, würde er sie nicht in anderer Form wieder durchleben wollen. Niemand, der nicht von Natur aus eifersüchtig ist, hat Interesse daran, eine solche Braut zur Frau zu haben.«
    Dulcie schüttelte den Kopf. Sie sind traurig anzuschauen, diese wohlerzogenen Frauen mit Katzengesicht, wenn sie ihre Tränen zurückhalten. In dem rosa Licht des Ruheraums bot sie einen besonders blassen und melancholischen Anblick.
    Â»Glauben Sie nicht«, fragte sie, »dass er mich nur deswegen zu einem ›hot wife‹ machen will, damit er es mir als ›hot husband‹ heimzahlen kann?«
    So ein Tier müsse wohl erst noch erfunden werden, tröstete ich sie, obgleich ich Zweifel hatte, wenn ich an Lionels weibliche Seite dachte.
    Â»Warum lassen Sie ihm nicht seinen Willen und tragen das Kettchen?«, sagte ich. »Unter der Bedingung, dass die scharfe Braut eine Fantasie bleibt. Er will Sie ja damit nicht kränken, dass er Sie attraktiv findet und dass ihm die Idee gefällt, andere Männer könnten Sie ebenfalls attraktiv finden.«
    Â»Habe ich doch. Ich habe ihm ja seinen Willen gelassen. Habe das Kettchen getragen. Gott sei Dank ist es Ihnen nicht aufgefallen, aber ich habe es ja sogar bei der Arbeit getragen. Aber das reicht ihm jetzt nicht mehr. Jetzt will er Fotos von mir machen und sie ins Internet stellen. Ich habe Kinder, Mr Quinn. Was werden sie sagen, wenn sie ihren Computer einschalten, und auf dem Schirm lächelt ihnen ihre Mutter entgegen, mit Fußkettchen.«
    Â»Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie auf solche Seiten geraten«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher