Liebesdienst
krank bezeichnen.«
»Früher haben die Menschen so gedacht. Die Zeit nagt an unserem Verständnis von Krankheit. In hundert Jahren gilt der Mann, der seine Frau bittet, FuÃkettchen zu tragen, nicht mehr als krank. Das wird dann Ausdruck von Gesundheit sein. Und wenn wir Glück haben, sperren sie die Männer ein, die meinen, ihre Frauen müssten kochen und nur sie allein lieben.«
»Gott sei Dank bin ich dann tot.«
»Aber in der Zwischenzeit«, sagte ich, »können Sie der Revolution ein bisschen auf die Sprünge helfen. Tanzen Sie mit dem Elektriker. Und bedanken Sie sich bei Lionel für diese Chance.«
»Ich brauche Lionel nicht, um mir einen Elektriker zu angeln, Mr Quinn. Das kann ich auch alleine, wenn ich will.«
»Das bezweifele ich nicht, Dulcie. Ich meinte, bedanken Sie sich bei Lionel dafür, dass er Sie beide vom Sex als Besitztrieb erlöst. Eigentlich verlangt er etwas durchaus Zivilisiertes von Ihnen. Und von sich selbst.«
»Zivilisiert?«
Sie rief es so laut aus, dass das halbe Restaurant sich nach uns umdrehte, auÃer Marisa und ihrem Liebhaber, die viel zu sehr von ihrer eigenen Zivilisiertheit in Anspruch genommen waren.
»Ja. Zivilisiert in dem Sinn, dass es für Lionel einen Riesenschritt nach vorn bedeutet, aus seiner Eifersucht, von der Sie mir erzählt haben, herauszukommen. Sie sollten sich darüber freuen, dass er sich nicht mehr jedes Mal, wenn Sie einen anderen Mann nur angucken, ins Bett verkriecht.«
»Würde ich ja auch, wenn es nicht bedeutete, dass ich mich mit dem anderen Mann ins Bett verkriechen soll.«
»Nichts auf der Welt ist vollkommen. Aber wenigstens haben Sie jetzt einen postphallischen Ehemann. Die Feministin in Ihnen sollte zufrieden sein. Denken Sie daran, dass Sie den Patriarchen in ihm erschlagen haben, Dulcie.«
»Und mit dem Elektriker soll ich tanzen? Vielen Dank. Da ist mir der Patriarch lieber, Mr Quinn. Den kenne ich wenigstens.«
»Vielleicht ist der Elektriker ja ganz nett.«
»Und wenn ich es gar nicht herausfinden will?«
»Ah«, sagte ich. Das altbekannte Argument. Wie oft schon ist die Moderne an dieser Klippe zerschellt.
Sie musste erkennen, dass ich darauf keine Antwort wusste. Man kann die Schranken gehemmter Sexualität nicht gemeinsam überwinden, wenn sich die Menschen mit Händen und FüÃen dagegen sträuben. Dennoch war deutlich, dass Dulcie genau darauf gehofft hatte: Ich sollte ihr zeigen, warum es falsch war, sich nicht wenigstens dem Versuch einer Ãberwindung zu stellen. War das nicht der Grund, warum wir gemeinsam zu Mittag aÃen?
Ich unternahm einen letzten Anlauf. »Es ist nämlich so«, sagte ich. »Wenn ein Mann seine ganze sexuelle Neugier darauf richtet, ob seine Frau zu Fehltritten fähig ist, dann versteht es sich von allein, dass er keine Zeit und keine Lust zu eigenen sexuellen Fehltritten hat. Von Männern, die mit solchen Frauen verheiratet sind, heiÃt es, dass sie ihnen so treu ergeben sind wie Labradorhunde.«
Mit einem ihrer gewagtesten Augenaufschläge unterzog sie mich einer eingehenden Prüfung. »Und das ist verbürgtes Wissen, Mr Quinn?«
»Zu dem Schluss bin ich gekommen. Und ich habe es auch selbst hier und da erlebt.«
»Und Sie glauben, eine Frau will so etwas?«
»Einen treuen Mann? Warum denn nicht?«
»Keinen treuen Mann. Ich meine, einen Labrador.«
»Mögen Sie keine Labradorhunde?«
»Labradorhunde sabbern.«
Ich seufzte. Noch ein altbekanntes Argument: Wer will schon einen sabbernden Labradorhund zum Mann?
Auch Dulcie seufzte. Mir war nicht entgangen, dass sie zunehmend beunruhigte Blicke zu dem Liebhaber meiner Frau hinüberwarf. »Ich muss schon die ganze Zeit immer hingucken, aber erst jetzt fällt mir ein, wer dieser Mann ist«, sagte sie schlieÃlich und sah mich kurz fragend an, ob ich auch nichts dagegen hatte, dass sie ihn überhaupt erwähnte.
»Wer ist es denn, Dulcie?«
»Mein Zahnarzt. Ich habe ihn immer nur in einem weiÃen Kittel gesehen.«
»Ihr Zahnarzt? Ganz sicher?«
»Ganz sicher.«
»Dann ist er vielleicht auch Marisas Zahnarzt«, sagte ich, gleichermaÃen im eigenen wie Dulcies Interesse.
Traurig ruhten ihre graugrünen Augen auf mir. Sie standen so weit auseinander, dass man den Eindruck haben konnte, zwei unterschiedliche Personen würden einen anschauen, die
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