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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Tyrannei über mich aus. Vielleicht versuchst du es, und insofern ich mich ihr unterwerfe, habe ich dafür meine Gründe, die nicht unbedingt meinen eigenen Wünschen entsprechen. Manchmal, glaube ich, verwechselst du die beiden, aber sie sind nicht dasselbe. Der Grund für eine Handlung muss nicht immer auf einem Wunsch beruhen. Mehr will ich dazu nicht sagen. Ich lege mir die Wirklichkeit gerne zurecht wie du, und ich weiß, dass die Wahrheit viel verderben kann. Übrigens macht es sich sehr hübsch, wie du da sitzt. Es bereitet mir immense Freude, dich am anderen Ende eines Raums zu sehen. So eine Gelegenheit bietet sich mir nicht oft. Und wenn ich dich so beobachte, wie gut du ausschaust, dann möchte ich am Tisch mit dir sitzen, zu zweit, und wir unterhalten uns. Wir haben uns immer gut unterhalten. Schade, dass es nicht geht. Oder zumindest nicht gleich jetzt und hier …«
    Der Rückweg. Da war er wieder – der Rückzug ins Normale.
    Wie immer in solchen Momenten versammelten sich die Gespenster der geordneten Welt, um mich zu meinem knappen Entrinnen zu beglückwünschen. »Bedank dich bei deinem guten Stern«, schnatterten sie, »dass du nicht bekommen hast, worauf du aus warst. Jetzt kannst du so leben wie die Gesunden. Und achte zukünftig darauf, auf was du dich einlässt.«Und ebenso zuverlässig beschrie die andere Stimme – die Stimme meiner Sucht – die Unmöglichkeit, sich der Vernunft geschlagen zu geben, weil es mit keinem meiner Wünsche vereinbar war. Ich konnte sie förmlich auf der Zunge schmecken: die Fadheit, so zu leben wie die Gesunden.
    *
    Marisa machte sich nichts aus dem irischen Lover. Wenn sie es mir auch nicht sagte, sah ich es doch mit eigenen Augen. Während der Unterhaltung mit Dulcie hatte ich Marisa und ihren Begleiter immer im Blick gehabt. Nein, sie verbissen sich nicht ineinander und begrapschten sich nicht unterm Tisch. Ich beobachtete genau, wer seine Hand wohin legte. Nein, nichts dergleichen. Klingt vielleicht unfein, aber es musste sein. Ich horchte hin, ob sie heimlich miteinander flüsterten, beim harmlosen Gespräch über das Essen, ich wollte sehen, ob sie Wange an Wange legten, die Nasen aneinander rieben oder sich mit geöffneten Lippen küssten. Nein, auch das nicht. In vieler Hinsicht wirkten sie kaum anders als Dulcie und ich. Was ich glaubte bemerkt zu haben, als sie sich zuprosteten, war wahrscheinlich nur Einbildung. Vielleicht war Miles ihr Liebhaber, vielleicht war er nur ihr Zahnarzt, der sie ausführte, um ihre Bissfestigkeit zu prüfen, vielleicht war er beides – es hatte nichts zu bedeuten, so oder so. In einem Punkt war ich mir sicher: Marisa war nicht scharf auf ihn. Sehr wahrscheinlich mochte sie ihn ganz gerne – ganz bestimmt schätzte sie seine maßgeschneiderte Kleidung und seine geschmeidigen, tadellos geschrubbten Finger –, aber sie sehnte sich nicht danach, mit ihm zusammen zu sein, beschwor nicht seinen Körper oder seine Gesichtszüge herauf, wenn er nicht da war, zählte nicht die Stunden, bis sie wieder mit ihm zusammen sein konnte, und trug keine Locke seines Haars in einem Medaillon um den Hals. Und ganz gewiss tanzte sie nicht Tango mit ihm wie eine heiße Stute.
    Entschuldigen Sie die drastische Sprache, aber so ist die Eifersucht eben. Wer sich weigert, mit Othello in den Jauchepfuhl hinabzusteigen oder sich mit Leo Bloom im komischen Bordell zu wälzen und am Schlüsselloch über das eigene Betrogensein zu lachen – Zeig’s ihr! Rein! Zeig’s ihr! Pflüg sie durch! Mehr! Schuss! –, dem bleibt nur der Groschenroman oder das Pornoheftchen. Dagegen war kein Kraut gewachsen. Wenn ich mir Marisa auf freier Wildbahn vorstellte, sah ich sie immer in den Armen eines Highwaypolizisten in engen Kniebundhosen oder nackt ausgezogen und durchgefickt bis zur Gehirnblutung. Für solche Bilder übernehme ich keine persönliche Verantwortung. Die raffinierteste Fantasie von der gröbsten trennt nur ein schmales Niemandsland, wenn es darum geht, Sex in Worte zu fassen. Bei Literatur und Liebesromanen ist es dasselbe – die Grenze zwischen ihnen ist unsichtbar und unbewacht. Ist Jane Eyre ein ernsthafter Roman mit einer Botschaft oder doch nur eine Übung in sentimentaler Pornografie? Und wenn Anna Karenina über den Verlust ihrer Ehre an Wronskij weint, befinden wir uns dann in einer Tragödie oder einem

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