Liebesdienst
ist, der zu allen anderen führt. Wenn wir den Mut hätten weiterzugehen, würden wir schlieÃlich alle in sexueller Ekstase untergehen. »Im ÃuÃersten«, sagt Bataille, »sind wir entschlossen zu bejahen, was unser Leben in Gefahr bringt.« Ansonsten, nein â ich passte nicht in Lionels Kitschbild des Cuckold. In erotischer Hinsicht war ich Franzose, nicht Amerikaner, der nach dem gröÃten Preis der Sinnlichkeit strebt â Auslöschung. Keiner hätte weiter entfernt sein können von dem seichten Disneyland des Partnertauschs, der Cocktailnüsse und FuÃkettchen. Keiner.
Dennoch behielt ich ein wachsames Auge auf diese fernen Verwandten meiner Perversion, so wie ein Adliger, der sich selbst vollkommener Gesundheit erfreut, mit Besorgnis die ersten Anzeichen einer Rachitis in den ärmeren Zweigen seiner Familie beobachtet. Obwohl Lionel und Dulcie nicht zur Familie gehörten, hatten sie mich mit dem Gebrechen doch stärker in Berührung gebracht, als mir lieb war. Während unserer Unterhaltung kam mir sogar der Gedanke, dass Marisa und ihr Liebhaber exakt das gleiche Gespräch führten â über mich. »Er ist krank, Miles. Er braucht Hilfe.« Wobei Miles sich nicht für mich einsetzen würde, so wie ich mich, wenn auch vergeblich, für Lionel eingesetzt hatte, als einen Pionier der Männlichkeit, der das Gelände jenseits der phallischen Schranken erkundete. Zahnärzte denken da anders.
Genug . Insofern es in meiner Macht stand, Marisa aus der Bräute-Kategorie und mich aus der des samenschlürfenden weibischen Mannes zu befreien, hätte ich handeln sollen. Genug. Wir waren weit genug gegangen. Doch kaum traf ich die Entscheidung, mit Marisa zu sprechen und ihr darzulegen, dass wir in groÃer Gefahr schwebten, das zu praktizieren, was wir eigentlich verachteten, dass wir zwar moralisch abgeklärt und heldenhaft waren, ästhetisch aber gesündigt hatten, und daher, meine liebe Marisa, genug â da spürte ich just im Moment der Entschlossenheit, wie urplötzlich alle Lebendigkeit aus meinem Körper wich. Der Psychoanalytiker Theodor Reik beschreibt, was den masochistischen »Patienten« überkommt, wenn sich so etwas wie Genesung für ihn abzeichnet. »Er bemerkt, dass das Leben an Fülle, Reiz und Farbigkeit einbüÃt. Das Leben wird als öde empfunden, der Alltag als banal, das Leben scheint seine Substanz verloren zu haben. Es wird dumpf und bedeutungslos.«
Genauso fühlte sich Genesung für mich an, wenn ich sie mir ausmalte. Genug? Ich konnte das Wort nicht aussprechen.
Genug âbanalisierte den Alltag.
Genug â machte das Leben dumpf, öde und bedeutungslos.
Genug â versprach weder Fülle, Reiz noch Farbigkeit.
Es gab kein Genug .
Noch etwas anderes ereignete sich während dieses Mittagessens, das mich in die eine Richtung hätte lenken sollen, wenn ich ein gesunder Mensch gewesen wäre, und mich, da ich kein gesunder Mensch war, endgültig in die andere Richtung lenkte.
Dieses andere war ein Blick, den Marisa mir von ihrem Tisch aus zuwarf, ein Blick, vorbei an ihrem ehemals irischen Millionär, nunmehr Zahnarzt, und vorbei an Dulcie, der wie der Strahl einer Taschenlampe in einem leeren Raum auf mir ruhte. Nur zwei Menschen, die die Stimmungen der Seele des jeweils anderen kannten und wussten, an welches Mitgefühl sie appellieren konnten, waren in der Lage mitzuteilen, was Marisa und ich uns mit diesem einen Blick sagten. Ich las die Bedeutung aus ihren Augen, doch es war der Ausdruck des ganzen Gesichts, das zu mir sprach. Sie riss die Augen weit auf, sodass die tiefen Schatten darunter deutlich hervortraten, die ich immer als den Ort alles Philosophischen in ihrem Wesen betrachtet hatte. Ein ernstes und nachdenkliches Gesicht, dennoch freundlich und in den weiten perlmuttschattierten Bögen über den Augenlidern sogar heiter. »Wie kommst du mit Dulcie zurecht?«, fragte ihre Miene. »Sie sieht aus, als würde sie aus irgendeinem Grund Schreckliches durchmachen. Ich hoffe, du gehst sanft mit ihr um. Du kannst ironisch und ungeduldig sein, Felix, also bitte, halt dich zurück. Ich glaube, dafür ist Dulcie nicht stark genug. Das sind nur wenige. Du unterschätzt die Macht deiner Persönlichkeit und deines Willens. Das ist nicht als Vorwurf gemeint. Du weiÃt, was du willst, und ich weiÃ, was ich tue. Du übst keine
Weitere Kostenlose Bücher